Nacht des Schicksals
einem Mann eingehen, wenn eine Lüge sie trennte?
“Fertig?” Brodies Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
Kendra schluckte mühsam. “Ja”, erklärte sie, “ich bin fertig.”
Als sie sich erhoben, begann Kendra: “Vielen Dank. Es war ein schöner …”
“Der Abend war ein Reinfall.” Seine Kiefermuskeln malten. Er legte Kendra die Hand auf den Rücken und schob sie zur Tür. “Verschwinden wir von hier.”
Auf der Rückfahrt zum Motel herrschte dasselbe lastende Schweigen wie beim Essen. Brodie hielt vor der Tür, stieg aus und geleitete Kendra zum Eingang.
“Ich hole Megan morgen früh ab”, sagte sie, die Hand auf der Klinke. “Welche Zeit wäre dir recht?”
“Irgendwann nach neun.”
Sein Tonfall war schroff, doch sein Blick wirkte verloren. Ob er genauso durcheinander war wie sie? Ihr Herz flog ihm entgegen. “Möchtest du noch auf einen Schlummertrunk mit hineinkommen?”
“Nein”, erwiderte er kurz angebunden. “Aber trotzdem vielen Dank.”
Mit hochrotem Kopf fuhr sie herum und verschwand durch die Tür. Wie demütigend! Andererseits war es nur gut, dass er sie abgewiesen hatte. Es war besser, sich von ihm fernzuhalten! Die Absätze ihrer Sandaletten klapperten rhythmisch auf dem Fußboden. Sie würde sich ein heißes Bad gönnen und anschließend im Bett fernsehen. Zweimal drehte sie den Schlüssel ihrer Zimmertür hinter sich um.
Brodie fuhr nicht direkt nach Hause. Eine halbe Stunde ließ er sich ziellos durch die Stadt treiben. Er war ruheloser als je zuvor in seinem Leben. Die Frau hatte ihn im Griff wie Tropenfieber!
Wie wurde man Tropenfieber los? Man wartete, bis es sich von selbst legte, oder man riskierte eine Rosskur. Er hatte schon zu lange gewartet. Es wurde Zeit, dass er etwas unternahm. Die Reifen quietschten, als er kurzerhand wendete. Auf dem Rückweg zum Motel hielt er nur kurz an einem Getränkeshop, der noch geöffnet hatte. Drei Minuten später klopfte er an die Tür von Kendras Apartment.
Niemand antwortete. Brodie runzelte die Stirn und klopfte erneut. Noch immer keine Antwort. War sie noch einmal ausgegangen? Aber wohin?
Er presste die Lippen zusammen. Er wollte sich gerade abwenden, als sich die Tür öffnete. Da stand Kendra. In einem weißen Seidenmorgenmantel, die Wangen gerötet und mit feuchten Haarspitzen.
Sie sah ihn verblüfft an. “Hast du etwas vergessen?”
Er drängte sich an ihr vorbei und ging in die kleine Küche. Dort stellte er seine Einkäufe auf den Tresen. Das Herz schlug wie ein Hammer in seiner Brust.
Kendra war ihm gefolgt. Sie stand auf der Schwelle und raffte das Revers ihres Morgenmantels mit beiden Händen zusammen. Fragend sah sie ihn an.
“Ja”, sagte er. “Ich habe vergessen, Gute Nacht zu sagen.”
9. KAPITEL
“Was ist in der Tüte?”, fragte Kendra.
“Wein.”
Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: “Gläser findest du im Hängeschrank über dem Herd. Schenk uns ein, während ich mich anziehe.”
Sie wartete seine Antwort nicht ab und war verschwunden, bevor Brodie etwas erwidern konnte. Seinetwegen hätte sie sich nicht ankleiden müssen. Sie gefiel ihm gut, so wie sie war.
Die Gläser waren billig, aber fleckenlos sauber. Einen Korkenzieher fand er in der Schublade. Er zog den Korken heraus und warf ihn in den Abfalleimer unter der Spüle. Dann füllte er die Gläser zu zwei Dritteln. Der Wein war so hell wie Kendras Haar und duftete leicht nach Nüssen und Pfirsichen.
Aus dem Schlafzimmer hörte er ein Klappern. Hatte sie etwas fallen lassen? War sie immer noch nervös? Fragte sie sich, weshalb er wirklich zurückgekommen war?
Er stellte die Gläser auf den kleinen Couchtisch. Offenbar war Kendra gerade dabei gewesen, sich bettfertig zu machen. Das Bett war bereits aufgeklappt. Auf dem weißen Laken lag ein leichtes Nachthemd. Also war sie unter ihrem Morgenmantel nackt gewesen.
Er versuchte, die Vorstellung zu verdrängen, die ihm in den Sinn kam, zog sein Leinenjackett aus und warf es auf einen Stuhl. Die Hände tief in die Hosentaschen gesteckt, blieb er am Fenster stehen und sah hinaus. Es war dunkel geworden, und er konnte den Schein der Halogenstrahler auf seinem Firmengelände sehen. Über dem Haupteingang leuchtete die Neonreklame:
Lakeview Construction
.
“Ein hübscher Anblick, stimmt’s?”, meinte Kendra mit spöttischem Unterton hinter ihm. “Selbst wenn du nicht hier bist, kann ich dir nicht entkommen.”
Er wandte sich um. Sie trug jetzt einen weiten gelben Freizeitanzug.
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