Nacht des Verfuehrers - Roman
Revolte stand und dass die Großmächte und der Sultan über die Unruhen nicht erfreut waren. Was die endgültige Loslösung Serbiens aus dem Osmanischen Reich anging, hielten sich Frankreich und Russland bedeckt, und nichts, das Dumitru wissen oder sagen konnte, hätte daran etwas zu ändern vermocht. Falls Obrenovi gegen Konstantinopel vorzugehen wünschte, musste er sich darauf einstellen, im Alleingang zu handeln, das war ihnen beiden klar, während sie miteinander speisten.
Dann hatte der Prinz Dumitru für ein paar Stunden in seine Zelle zurückgeschickt, wo er endlich hatte schlafen dürfen. Schließlich hatte der Prinz seinen wankelmütigen Sinn für Humor unter Beweis gestellt und sie beide, Dumitru und Alcy, mit Geschenken überschüttet und gehen lassen. Neue Kleider, Pferde und eine kleine brünette Zofe für Alcy, die sich während der Reise um sie kümmern sollte, dazu eine zwölfköpfige »Ehrengarde« aus dem persönlichen Gefolge des Prinzen, die sie mit dem Pomp, der Dumitrus Status als ausländischer Prinz und Gefangener des Sultans angemessen war, nach Konstantinopel eskortieren sollte.
Dumitru dachte zum ersten Mal ernsthaft über die Möglichkeit nach, dass ihn dieses Unternehmen das Leben kosten konnte. Er war kein Mann, der über die eigene Sterblichkeit nachgrübelte, doch diese abrupte Konfrontation mit dem Thema setzte ihm zu und ließ ihn zum ersten Mal im Leben Angst empfinden.
Alcy wirkte im krassen Gegensatz dazu unerhört frisch. Ihre Bewegungen waren von neuer Energie, und sie hatte einen entschlossen optimistischen Ausdruck im Gesicht, jetzt da sie sauber gewaschen und gut angezogen war und jeder Zoll wie eine Lady aussah. Sie schien sich sogar an das Reiten gewöhnt zu haben, denn sie saß längst nicht mehr so ungelenk zu Pferd.
Hatten eine neue Garderobe und eine Zofe ausgereicht, um ihre Stimmung derart zu heben, trotz des neuen, unheilvollen Reiseziels? Dumitru wäre geneigt gewesen, es dem launischen Temperament der Frauen zuzuschreiben, aber nicht in Alcys Fall. Glaubte sie, sie würden dem Sultan genauso problemlos entkommen wie den Hajduken,
dem Knez, den Revolutionären und jetzt dem Prinzen? So naiv konnte sie nicht sein. Er nahm sich vor, sie bei der nächsten Rast zu fragen.
Den beiden Gefangenen wurde gestattet, zum Mittagessen abzusteigen, während die Pferde grasten. Alcy wies ihre Zofe an, eine Decke auf den Boden zu breiten, auf die sie sich setzen konnte. Dann kaute sie mit starrsinnig zufriedenem Gesichtsausdruck auf ihrem Brot herum. Dumitru nahm das Essen, das der Quartiermeister der Garde ihm reichte, und setzte sich, ohne zu fragen, neben sie.
»Du wirkst auf unerklärliche Weise heiter«, stellte er fest.
»Ich bin sauber gewaschen und ausgeruht. Und es kann noch eine Menge passieren, bis wir in Konstantinopel sind.« Ihr Lächeln hatte einen entschlossenen, reizbaren Zug. »Sollte uns etwas Schreckliches zustoßen, habe ich wenigstens nicht ganze Wochen damit verbracht, mich schon vorher verrückt zu machen.«
Dumitru war so verblüfft, dass er unwillkürlich in Gelächter ausbrach. »Du und dich verrückt machen?«
»Sicher. Kennst du das nicht?«, fragte sie, und er sah die brennende, verzehrende Angst in ihren Augen, die sich hinter dem Optimismus verbarg. Die Entscheidung des Prinzen musste für sie ein ebenso großer Schock gewesen sein wie für ihn. Aber sie reagierte darauf in einer Weise, die er nicht für möglich gehalten hätte – sie setzte die Maske der Tapferen auf, auch wenn sie das an den Rand der Hysterie trieb.
Ach, Alcy, dachte er und sehnte sich mit einer Inbrunst danach, sie zu küssen, wie seit der Nacht im Gasthof nicht mehr. Doch dann sagte er lediglich: »Ich sinne die ganze Zeit über eine Fluchtmöglichkeit nach«, was einigermaßen
zutreffend war. Seine Albträume waren von seinen detaillierten Kenntnissen über die Brutalität der Osmanen erfüllt, von der Alcy nichts zu wissen brauchte.
»Hm«, sagte sie und grinste mit einem gewissen Galgenhumor. Trotz der spielerischen, optimistischen Art sah er ihr an, dass sie nicht recht überzeugt war. »Wenn dir eine einfällt, lässt du es mich wissen, ja?«
»Sicher«, sagte er. »Ich würde niemals ohne dich fliehen.«
Sie sah zu ihm auf, und ihr aufgeklebtes Lächeln verfiel mit einer Geschwindigkeit, die ihn schmerzte. »Obwohl ich ständig versucht habe, dich bei der nächstbesten Gelegenheit zu verlassen?«
»Aber am Hof Prinz Obrenovis nicht«, konterte Dumitru.
Weitere Kostenlose Bücher