Nacht des Verfuehrers - Roman
investieren.«
»Sicher«, gab er zu, »Severinor wird eines Tages sehr wohlhabend sein, aber dazu braucht es viele tausend Taler oder Pfund.«
»Dann solltest du den ganzen Profit aus dem Kanal reinvestieren«, riet sie ihm.
»Und was ist mit deiner Unabhängigkeit?«, fragte er leise.
Sie zuckte die Achseln. »Ich werde immer noch fünfundachtzigtausend Pfund Unabhängigkeit haben. Das sollte reichen, bis die Erbschaft fällig wird.«
Dumitru zwinkerte. »Die Erbschaft?«
»Was denkst du, passiert mit den Fabriken meines Vaters, wenn er einmal stirbt?«, fragte Alcy. Sie lachte, weil sie seinen Gesichtsausdruck anscheinend komisch fand. »Das heißt nicht, dass ich sie weiter betreiben will. Sie werden verkauft, und falls meine Mutter noch am Leben ist, bekommt sie die eine Hälfte und ich die andere, außerdem noch die Hälfte von allem, was über die Jahre an Gewinn angefallen ist.«
»Und wie viel wäre das, falls die Frage nicht zu dreist ist?« Er war derart auf ihre Mitgift fixiert gewesen, dass er an eine Erbschaft gar nicht gedacht hatte.
»Es sollte mich nicht wundern, wenn sich das Vermögen meines Vaters dann auf weit über eine Million Pfund beliefe«,
erwiderte sie, »die Webereien natürlich eingeschlossen. Es mag einige Lords geben, deren Gesamtvermögen das übersteigt, Landbesitz ist eben Landbesitz … aber ich denke, ich könnte die reichste Frau Englands werden, wenn nicht ganz Europas.«
»Und was willst du mit all dem Geld anfangen?«, fragte er benommen.
»Universitäten für Frauen gründen, natürlich – in einem halben Dutzend europäischen Universitätsstädten«, erwiderte sie prompt und mit leuchtenden Augen. »Die Ansichten der Männer lassen sich mit Geld leichter ändern als mit Argumenten. Und ich würde eine internationale philosophische Gesellschaft ins Leben rufen, die beiden Geschlechtern offen steht und jährlich die besten Arbeiten mit großzügigen Preisgeldern fördert. Und …« Sie sah ihn schüchtern an. »Ich würde Severinor zur progressivsten, profitabelsten Region in ganz Europa machen und eine stattliche Summe zur Seite legen, damit auch unsere Kinder den Vorteil unseres Reichtums genießen können.«
»Ich dachte, du magst Kinder nicht«, sagte Dumitru bewegt, auch wenn er wusste, wie unmöglich diese Vision war.
»Ich mag Babys nicht«, berichtigte sie. »Sie riechen, sind nutzlos und zeitraubend. Aber sie werden ja größer, und ich denke, ich würde unsere Kinder schon lieben.«
»Ich bin froh, das zu hören«, sagte er und zog sie fester an sich. »Ich würde unsere Kinder auch lieben, vor allem, wenn eines davon deine schönen grünen Augen hätte.«
»Du darfst keines bevorzugen«, sagte sie mit gespieltem Ernst.
»Das würde ich bestimmt nicht«, versicherte er lächelnd.
Dann verfielen sie in ein langes Schweigen.
Sie machten jeden Abend an einer Herberge Halt. Dumitru bekam sein eigenes Zimmer; Alcy teilte sich das ihre mit der Zofe – eine kleine Respektsbekundung für die Verdammten. Die Soldaten verteilten sich auf die umliegenden Quartiere und wiesen gnadenlos alle anderen Reisenden ab.
Als sie am achten Abend vor einem Gasthof hielten, sagte Dumitru: »Ich habe letzte Nacht die Offiziere belauscht. Es sind noch drei Tage bis Konstantinopel.«
Alcy sah besorgt aus. »Ich dachte, uns bliebe mehr Zeit.« Sie zuckte hilflos die Achseln und lächelte traurig in sich hinein. »Ich hatte schon fast daran geglaubt, dass wir noch ein bisschen mehr Zeit hätten.«
»Alles Gute endet irgendwann«, erwiderte er und versuchte gelangweilt zu wirken, doch es kam grimmig heraus.
»Das muss es wohl«, sagte sie und senkte den Blick.
Die Zofe hatte bereits die Tür der Kutsche geöffnet und war ausgestiegen. Jetzt wartete sie ungeduldig auf dem Hof. Alcy folgte ihr. Sie sah klein und verloren aus, als sie der grobschlächtigen Frau in den Gasthof folgte.
Dumitru wurde wie jede Nacht direkt in seine Kammer gebracht. Bewaffnete Männer bezogen vor seiner Tür und dem Fenster Stellung. Wie jeden Abend aß er alleine, diesmal aber immerhin an einem Tisch. Schließlich legte er den Löffel weg.
Die Soldaten gestatteten ihm kein Messer und ließen auch nicht zu, dass er sich selbst rasierte, sondern schickten ihm eine Wache mit einem Jungen, der das erledigte. Dumitru wusste nicht recht, ob sie seine Flucht oder seinen
Selbstmord verhindern wollten. Er war wieder etwas bei Kräften, aber noch nicht in der Verfassung, um mit Alcy zusammen zu fliehen
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