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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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aneinander.
    Am Nachmittag ihres letzten gemeinsamen Tages erreichten sie Konstantinopel. Für Severinor war es ein Augenblick von historischer Bedeutung, nicht nur wegen des Schicksals, das Dumitru dort erwartete. Konstantinopel war eine ferne Macht gewesen, dennoch hatte sie über tausend Jahre die Rolle bestimmt, die sein Land zu spielen hatte, aber es war das erste Mal, dass ein Graf von Severinor die Stadt zu sehen bekam.
    Sie kamen nur noch langsam voran, weil andere Straßen aus allen Richtungen die ihre kreuzten und sie die massive dreifache Mauer passieren mussten, die Konstantinopel tausend Jahre lang beschützt hatte, bevor die Osmanen die Stadt überrannt hatten. Jetzt, im Zeitalter der Kanonen, waren die Mauern der Zeit anheimgefallen und Plünderungen von Seiten der Armen ausgesetzt, die sich aus den Steinen Behausungen bauten.

    Die Stadt war einst durch und durch römisch gewesen, doch die meisten der alten Bauwerke waren von den Jahrhunderten dahingerafft worden. Jetzt war sie, bis auf die versprengten jüdischen und christlichen Enklaven, vollkommen türkisch, was Kleider, Bauwerke und Sitten betraf. Aus den Läden, welche die Straßen säumten, ergossen sich exotische Waren, und die Händler luden die Passanten ein, kämpften gegen den Lärm der Menschenmenge und der Tiere an, welche die Straßen verstopften. Die Kutsche kroch nur noch vorwärts. Um sie herum drängten sich andere Kutschen und Karren, Männer auf Pferden und Maultieren und wieder andere, die Esel oder Kamele am Zügel führten. Handkarren, verschleierte Frauen, Männer in türkischen Röcken, verhängte Sänften: Sie alle machten sich gegenseitig den Platz streitig und schoben sich langsam voran. Alcys Gesicht zeugte von Ehrfurcht, als sie Dumitrus Hand umklammert hielt.
    Dreimal entdeckten sie schlanke Minarette, die sich über die dicht gedrängten Bauwerke erhoben, und dreimal fuhren sie vorbei. Dann kam eine enorme Moschee in Sicht, deren Umrisse jedem gebildeten Menschen im Osmanischen Reich vertraut waren. Dumitru schluckte gegen einen Anflug von Übelkeit an, als er die fünf unglaublichen Kuppeln erblickte.
    »Die Hagia Sophia«, murmelte er. »Sie steht direkt vor dem Topkapi-Palast.«
    Alcy umklammerte seine Hand noch fester und sagte nichts.
    Sie passierten die altertümliche Moschee, einst die größte Kathedrale des byzantinischen Reiches. Dumitru kam sich in ihrem Schatten klein vor, sein Leben so unbedeutend
und kurz wie das einer Fliege. Vielleicht ist, was noch davon übrig ist, ja tatsächlich nicht länger als das Leben einer Fliege, ging es ihm durch den Kopf.
    Am Ende des Platzes vor der Moschee bog die Kutsche in eine Straße ein und ratterte durch das geöffnete Haupttor des Palasts. Ein ausgedehnter Park grüßte sie, die Stra ße war jetzt von Bäumen gesäumt und von Rasenflächen, auf denen es von Menschen in der Tracht diverser Zünfte wimmelte. Am zweiten inneren Tor blieben sie stehen. Nach einer kurzen Unterredung stiegen die Wachen, die sie eskortierten, ab und führten die Pferde durchs Tor, während die Kutsche hinter ihnen herrumpelte. Sie befanden sich in einem weiteren Park, kleiner als der erste: Zahlreiche Wege führten von den Toren weg. Hier blieben sie stehen, während ihre Wachen sich vor den bulgarischen Soldaten zu einer doppelten Reihe formierten.
    Es schien eine Art zeremonielle Übergabe stattzufinden. Dann riss einer der Palastwächter die Tür der Kutsche auf und beorderte Alcy heraus.
    »Es ist Zeit für Sie zu gehen«, übersetzte Dumitru.
    Alcy ließ seine Hand los. Sie erhob sich und stieg aus, gefolgt von ihrer Zofe. Vier der Wachposten traten vor, kreisten sie ein und brachten sie auf einem der seitlichen Wege fort.
    Jetzt war er an der Reihe. Dumitrus Magen schmerzte. Tapfere Männer hatten aufrecht zu sterben – aber was, wenn er nicht sterben wollte? Es schien alles so lachhaft. Es war ein dümmlicher Irrsinn, dass sein Leben aus Gründen enden sollte, die Dumitru jetzt mehr mit Gehässigkeit zu tun haben schienen als mit politischer Realität. Aber alle anderen waren offensichtlich gegen die Lachhaftigkeit
der Umstände immun, und so blieb Dumitru nichts anderes übrig, als seine Rolle zu spielen, auch wenn sie sich wie eine Pantomime anfühlte. Er stand auf und trat in das frühe Abendlicht des inneren Parks.
    Die verbliebenen Gardisten kamen augenblicklich auf ihn zu, die Hände an den Waffen. Dumitru erwog davonzulaufen. Ein Schuss in den Rücken, und alles wäre

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