Nacht des Verfuehrers - Roman
war, dass sie ein Aufschluchzen unterdrücken musste. Dumitru war am Leben, und er war hier, aber er war noch immer in derselben Gefahr wie zuvor. »Ich möchte ihn sehen«, sagte sie.
»Den Beylerbey?« Die Frau sah sie fassungslos an.
»Meinen Mann. Ich möchte meinen Mann sehen.« Sie hätte sich am liebsten auf die Lippe gebissen, um nicht noch mehr zu sagen, zu betteln, wilde Drohungen auszustoßen,
große Versprechungen zu machen, nur um bei ihm sein zu können, und sei es nur für einen Augenblick.
Der Gesichtsausdruck der Frau entspannte sich. »Das ist hier nicht möglich, aber haben Sie keine Angst, Sie sehen ihn noch früh genug. Der Beylerbey hat entschieden, dass sie beide noch zu schwach sind, um zu Pferd zu sitzen. Sie reisen morgen ab, und zwar gemeinsam in einer Kutsche.« Sie hielt inne und setzte dann zögerlich hinzu: »Ich habe die Geschichte gehört, wie er Sie gestohlen und entehrt hat – und wie Sie ihn geschmäht haben. Aber er hat eine ehrbare Frau aus Ihnen gemacht und Sie vor den Serben gerettet. Das ist sehr romantisch und nobel. Es freut mich, dass Sie ihn endlich als Ihren Herrn betrachten.«
»Ja«, sagte Alcy und verspürte bei dem Gedanken, dass Ayguls Vorstellung von einer noblen Eheschließung in England kaum mit solchem Wohlwollen aufgenommen werden würde, eine Heiterkeit, die an Hysterie grenzte. »Sehr romantisch, ja.«
Und dann setzte sie sich mit einer Gefühlsaufwallung, die sie kaum in Schach halten konnte, wieder an ihre Abhandlung, denn es gab nichts, was sie sonst hätte tun können.
Dumitru lehnte sich mit geschlossenen Augen in die Polster zurück, zu müde und schwach, um zu denken. Nachdem der Doktor aus Alexandria erklärt hatte, dass er außer Lebensgefahr sei und kein Ansteckungsrisiko mehr bestehe, hatte Mehmed Reshid Pasha ihn drei volle Tage lang befragt, wobei er zwar sorgsam auf Dumitrus Gesundheit geachtet, ihn aber dennoch schwer bedrängt hatte.
Dumitru konnte sich glücklich schätzen. Der Beylerbey
hatte entschieden, dass es dem Sultan missfallen könnte, wenn man ihn folterte oder tötete – und wenn nur, weil der Sultan dieses Privileg für sich allein in Anspruch nehmen wollte. Aber der Beylerbey hatte eigentlich keinen Grund, auf derartige Methoden zurückzugreifen, denn Dumitru redete so bereitwillig wie jeder unter Folter. Er hatte einzig nach einem Beleg für Alcys Unversehrtheit verlangt, und man hatte ihm die Kleider gebracht, die sie getragen hatte, und ihm das eigenwillige und doch so vorhersehbare Benehmen beschrieben, das sie seit ihrer Genesung an den Tag legte, worauf er am liebsten gelacht und die verschleierte Frau geküsst hätte, die ihm von Alcy berichtet hatte – so überzeugt war er, dass seine Frau gesund und munter war.
Dumitru war weder Patriot noch Revolutionär. Er war ein unbedeutender egozentrischer Prinz, der im Augenblick nur daran interessiert war, den Beylerbey bei Laune zu halten – zu seinem und Alcys Wohle. Er benutzte die Wahrheit als Vehikel für die Lügen, die er Mehmed Reshid Pasha auftischte, und er hatte sein Vergnügen daran, dabei hinreichend von Penevs doppeltem Spiel zu berichten, soweit er sich die Einzelheiten während seiner Erkrankung hatte zusammenreimen können. Dumitru durfte jedenfalls hoffen, dass der Kaufmann angemessen für seine Perfidität bezahlen würde.
Als die drei Tage vorüber waren, befahl der Beylerbey, dass Dumitru seine Reise nach Konstantinopel fortsetzen müsse, und zwar unter der Bewachung der mittlerweile vierten Gruppe Häscher. Was Alcy anging, ließ der Beylerbey jedoch nichts verlauten, und Dumitru wollte den Mann auch nicht glauben lassen, dass er irgendetwas verschwiegen habe, das er im Austausch gegen die entsprechende Information
preisgegeben hätte. Und so war ihm nur das mutmaßliche Reiseziel bekannt gewesen, als man ihn in einem Reiterzug aus sieben Dutzend bulgarisch-osmanischen Wachen zu einer Kutsche im türkischen Stil gebracht hatte.
Als der Schlag der Kutsche aufging, blieb ihm fast das Herz stehen: Neben der Tür tauchte Alcy auf.
Sie war dünner geworden, das sah er sofort, auch wenn der lose herabhängende türkische Kaftan mit dem passenden Schleier ihre Figur kaschierte. Ihre Haut war durchscheinend wie aus einer anderen Welt, als sei sie eine schwarzhaarige Euridike der Moderne, die aus dem Reich der Toten zurückgekehrt ist. Ihre Zerbrechlichkeit war auffällig, fast verblüffend, und weckte wie nie zuvor seine Beschützerinstinkte. Ihre
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