Nacht des Verfuehrers - Roman
Raumes mit seiner spärlichen Möblierung umso stärker. »Und was passiert jetzt?«
Die Zofe zuckte die Achseln. »Sie warten, bis Sie vom Sultan gerufen werden, es sei denn, dass er einer der Frauen die Verantwortung für Sie überträgt. Dann ist diese Frau Ihre Herrin, und Sie haben zu tun, was sie sagt.«
»Ach, gibt es im Palast eigentlich ein Gefängnis?«, fragte Alcy, deren Worte unwillkürlich zum Ort ihrer Gedanken eilten.
»Sie denken wieder an Ihren Ehemann, nicht wahr?«, fragte die Frau mitfühlend und nahm ihr gegenüber Platz.
»Es gibt keine Hoffnung für ihn. Ihr bisschen Geld ist nicht genug, um jemanden zu bestechen, der die Macht hätte, ihn freizulassen – und selbst wenn das Geld reichte, könnten Sie nicht ausschließen, dass Sie darum betrogen würden.«
Alcy zwinkerte. »Bestechung?« Dass es möglich sein sollte, ausgerechnet im Palast des Sultans auf ein derartiges Mittel zurückzugreifen, war ihr nie in den Sinn gekommen. Jetzt begriff sie, warum Dumitru sie zu dem einen Versprechen genötigt hatte, das zu halten sie nie beabsichtigt hatte: Er hatte eine sehr genaue Vorstellung davon, wie die osmanische Regierung funktionierte, und hatte nicht riskieren wollen, dass sie in deren Mühlen geriet. Du weißt doch genau, dass ich gelogen habe, sagte sie im Geiste zu ihm, wo immer er war, und schöpfte wieder neue Hoffnung.
» Natürlich«, sagte Aygul. »Aber es braucht eine große Summe, um eine wirklich einflussreiche Persönlichkeit dazu zu bringen, Ihren Ehemann da herauszuholen.«
Alcy dachte einen Moment nach. »Falls ich ihn nicht herauszuholen vermag … könnte ich ihm dann etwas zukommen lassen, was meinen Sie?«
»Nun, es käme darauf an, was es ist«, sagte die Zofe ganz selbstverständlich. »Jedenfalls kostet das nicht so viel, denn Sie müssten ja nur eine Person bestechen, nämlich den Schließer. Essen ist am einfachsten. Eine Pistole ist unmöglich, denn damit würde wahrscheinlich der Schließer selbst erschossen.«
»Ein Messer?«, fragte Alcy mit hämmerndem Herzen, weil ihr klar war, was sie da vorschlug. »Nur ein kleines. Keines, mit dessen Hilfe jemand fliehen könnte.«
Die Frau sah sie verständnisvoll an. »Ja. Dazu bräuchte es nicht viel. Früher habe ich die meisten Schließer gekannt – einer von denen arbeitet bestimmt noch dort.«
»Heute Nacht«, drängte Alcy. Bevor Dumitru irgendetwas Schreckliches widerfahren konnte.
»Wenn Gott will, habe ich noch vor Sonnenaufgang ein Messer und ein gutes Essen in seiner Zelle«, schwor Aygul.
Alcy holte ihren dahinschwindenden Vorrat an Münzen und gab der Zofe, was sie verlangte. Sie konnte nicht wissen, ob sie nicht gerade betrogen wurde; aber sie hätte ohnehin nichts dagegen unternehmen können, was sollte sie also anderes tun, als der Frau zu vertrauen? Sie war jetzt Dumitrus einzige Hoffnung, und sie würde – sie musste – alles tun, was in ihrer Macht stand. Wenn sie schon nicht in der Lage war, ihn tatsächlich zu retten, dann musste sie ihm zumindest eine Art von Erlösung ermöglichen, selbst wenn bei der Vorstellung, ihn zu verlieren, alles in ihr aufschrie.
Sie hatten den Handel gerade abgeschlossen, als es an
der Tür klopfte und eine Frau hereinkam. Sie sprach kurz mit der Zofe, ließ einen Wortschwall heraus, von dem Alcy nicht das Geringste verstand, und dann verschwand sie so schnell, wie sie gekommen war.
»Was ist los?«, fragte Alcy mit einem neuerlichen Anflug von Angst.
»Wie es scheint, wird Ihnen heute Abend eine große Ehre zuteil«, sagte die Zofe, hin und her gerissen zwischen Ehrfurcht und Erstaunen. »Der Sultan wünscht, Sie im Thronsaal zu sehen.«
Alcys Herzschlag beschleunigte sich. Eine Chance, vielleicht die einzige. Es musste so sein. Und falls sie irgendetwas tun konnte, irgendetwas, dann war sie bereit.
Sie musste bereit sein.
Dumitru starrte in die Dunkelheit und versuchte, den widerlichen Geruch von verfaultem Essen und menschlichen Exkrementen zu verdrängen. Hätte er sich gestattet, sich die Zustände in einem osmanischen Kerker auszumalen, dann hätte er die entsetzliche Dunkelheit mit schrecklichem Stöhnen und grellem Geschrei erfüllt. Doch in seiner Zelle war es sehr still, der Stein erstickte jeden Laut, und er hörte nur ein schwaches Tropfen, gelegentlich das entfernte Geräusch von Schritten, ein gedämpftes Wimmern oder eine Maus, die über den Boden huschte. Die Stille war erdrückend und fast noch schlimmer als die furchtbarsten
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