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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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Tentakel aus stahlgrauem Licht in die Täler gestohlen hatten, um die Nacht zu verjagen und Dumitru aus dem Schlaf zu locken, doch er hatte – ganz untypisch für ihn – keine Lust gehabt, den Morgen zu begrüßen. Er hatte sich tiefer in die Bettdecke gewühlt, den Kopf in das weiche Haar seiner Frau gegraben und keinen Gedanken daran verschwendet, dass die alltäglichen Pflichten ihn riefen.
    Doch Bewusstsein und Gewissen ließen sich nicht ewig in Schach halten. Er wurde wach und setzte sich widerwillig auf, als das Sonnenlicht durch die Fenster strömte.
    Alcyone regte sich nicht. Sie okkupierte mit der zwangsläufigen Selbstsucht eines Menschen, der es nicht gewohnt ist, bei jemand anderem zu schlafen, drei Viertel des Betts. Selbst im Schlaf war sie ein Bündel aus Gegensätzen: schwarzes Haar auf weißen Laken, dazu das Puppengesicht, das von einer solchen Klarheit und Zerbrechlichkeit war, dass es fast unwirklich aussah. Ein Anblick, der im Kontrast zu ihrer verdrehten, ausladenden Haltung stand, die zu einem ungestümen Lausbuben von zwölf Jahren passte, aber nicht zu einer schönen Frau, die fast
doppelt so alt war. Die Widersprüche waren frappierend – und durch und durch aufreizend.
    Eine Frau aus etwas feinerem Holz hätte im Bett die perfekte Lady markiert: nicht steif, aber dennoch leidenschaftslos und still, für die feinsinnigeren Erfahrungen gemacht, nicht für das wirklich fleischliche Vergnügen. Aber Alcyone hatte mit Erstaunen, Witz und Klugheit reagiert – und einer alarmierenden Verletzlichkeit. Eine Kombination, die er sich nicht einmal in den fiebrigsten Träumen hätte vorstellen können und die gleichermaßen entwaffnend wie reizvoll war. Danach hatte er im Dunkeln ihren gleichmäßigen Atemzügen gelauscht, während sie den Schlaf des Gerechten schlief. Er hatte nichts mehr gewollt, als sie die restliche Nacht lang an sich zu drücken.
    Und das hatte er auch.
    Jetzt im hellen Morgenlicht kehrte der Anflug von Unbehagen zurück. Seine sämtlichen Befürchtungen hatten sich in Luft aufgelöst: Alcy war nicht alt, hässlich, verderbt oder übellaunig, selbst wenn er zuvor um jeden einzelnen Posten wahre Albträume konstruiert hatte. Ihr gemeinsames Projekt war dennoch verwegen – zwei Menschen, die einander fremd waren, mussten herausfinden, wie sie miteinander verheiratet sein konnten, ohne von all den kleinen alltäglichen Eigenheiten zu wissen, die selbst den Partnern arrangierter Ehen üblicherweise bekannt waren.
    Es wäre sogar für zwei Menschen, die gut zusammenpassten, schwierig gewesen. Zudem wusste er, dass zumindest er seine Fehler hatte. Doch als sein Blick auf seine schlafende Frau fiel, konnte er nicht anders – er wollte einfach glauben, dass diese Verbindung so schlecht nicht sein konnte.

    Er schlüpfte mit einem letzten Blick ganz leise aus dem Bett, um sie nur ja nicht zu stören. Dann zog er den Morgenmantel an, raffte seine Kleidung zusammen, schlich in den Salon und schloss leise die Tür.
    Wie vermutet, saß sein Kammerdiener geduldig neben der Salontür und wartete auf die allmorgendlichen Instruktionen. Guillaume war – wie die Kochbücher – ein Import aus Frankreich. Er war Dumitrus »Mann« in Paris gewesen und hatte jene Aufgaben erledigt, denen das Hausmädchen und die Kochkünste der Pensionswirtin nicht gerecht wurden. Und als Dumitru wegen des Todes seines Vaters in die Walachei zurückgekehrt war, hatte sein Angestellter beschlossen, sämtliche anderen Rollen abzulegen und Dumitru als dessen Kammerdiener zu begleiten, was sowohl eine Beförderung bedeutete als auch den Gang ins Exil. Dumitru hatte den Mann ein einziges Mal nach seinen Beweggründen gefragt, aber nur ein gallisches Achselzucken geerntet.
    Guillaume weigerte sich standhaft, irgendeine Fremdsprache zu erlernen, und betrachtete die Lebensumstände seines Arbeitgebers mit dem gleichen unerschütterlichen Hochmut, den er schon in der Rue Chêne an den Tag gelegt hatte – als sei er die wichtigste Persönlichkeit eines herausragenden Hauses und nicht nur einer der wenigen Hausangestellten, deren Pflichten sich nicht auf die Stallund Feldarbeit erstreckten.
    An diesem Morgen wartete Guillaume nicht allein. Dumitru entdeckte auch Alcys Zofe, ein dickliches blondes Mädchen von kaum mehr als zwanzig Jahren. Sie saß am anderen Ende des Salons, wo sie, ohne dass sie hätte Stühle rücken müssen, weitest möglich von Guillaume
entfernt war. Die beiden beäugten einander misstrauisch.

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