Nacht des Verfuehrers - Roman
Rachel deshalb nicht wirklich als Vertraute in Herzensangelegenheiten empfahl, hätte Alcy zum Reden doch gern eine Frau mit Erfahrung gehabt. So ergeben ihr Celeste auch war, sie war nie in den Ehestand getreten. Auch wenn die Zofe gelegentlich gewisse Andeutungen machte, war Alcy sicher, dass Celeste in fleischlichen Dingen genauso unerfahren war wie sie selbst noch am Abend zuvor. Selbst ihre alte Gouvernante Gretchen Roth hätte ihr nicht so beistehen können wie eine verheiratete Frau – jede verheiratete Frau.
Zu Alcys Erstaunen, wenn nicht sogar Enttäuschung, war der Salon leer. Ihr eigenes Schlafzimmer hatte sich sehr verändert, seit sie es zuletzt gesehen hatte. Celeste hatte ausgepackt, die Möbel verrückt und aus den wenigen Stücken das Beste gemacht. Der eine Raum musste für Alcy jetzt leisten, was in den Häusern der Carters in Leeds, London und Middlesex ganze Suiten übernommen hatten.
Der Kleiderschrank war zum Bersten voll, der Toilettentisch mit Schmuckschatullen und den verschiedensten Accessoires überladen, und auf den beiden Klapptischen
neben der Tür stapelten sich gefährlich hoch Bücher und Papiere. Selbst der Nachttisch trug eine prekäre Ladung Hutschachteln. Dennoch standen noch zwei der großen Reisekisten in einer der Ecken, ihr Inhalt kaum berührt.
»Ich habe Ihre Sachen, so gut es ging, verstaut«, erklärte Celeste, der auf dem ihr – wie sei meinte – angestammten Territorium sichtlich wohler war. Die letzte Steifheit fiel von ihr ab, während sie mit einer missmutigen Handbewegung den Raum begutachtete. »Das ist keine Suite für eine große Lady. Selbst das Haus in London war um Klassen besser als das hier.«
»Könnte mein Gatte sich Räumlichkeiten leisten, die seinem Rang gerecht werden, wäre er nie gezwungen gewesen, mich zu heiraten«, erklärte Alcy trocken, war insgeheim aber ebenfalls der Ansicht, dass etwas getan werden musste. Zumindest war der Raum relativ groß – so groß, dass er sich nach Belieben in diverse Kammern unterteilen ließ.
Celeste schniefte nur und stellte das Tablett und Alcys Sachen auf einer freien Tischecke ab. Dann ging sie zum Toilettentisch, wo ein dampfender Wasserkrug darauf wartete, in die passende Waschschüssel entleert zu werden. »Es gibt hier oben keine Wasserpumpe; ich musste das Dienstmädchen deswegen bis in die Küche schicken, um Ihnen heißes Wasser für die morgendliche Wäsche zu holen. Und Madame, es gibt in diesem Steinhaufen nirgendwo Klingeln. Ich musste erst einmal ein Dienstmädchen finden, was keine leichte Aufgabe ist, das kann ich Ihnen versichern.«
»Vielleicht können wir das ja ändern«, schlug Alcy vor und hätte für eine einfachere Kommunikation gern auf ihren
neuen Titel als Madame verzichtet. Sie schüttelte den stibitzten Morgenmantel ab und durchwühlte eine der Kisten nach ihrem heiß geliebten gelben Exemplar. Celeste machte kommentarlos den Kleiderschrank auf und hielt ihn ihr hin. Alcy legte ihn über eine Stuhllehne und zog das Unterkleid aus, um sich zu waschen. Im Gegensatz zu Dumitrus Zimmer hatte das hier zumindest einen Herd, in dem ein fröhliches Feuer knisterte und ein bisschen die Kälte aus dem Raum vertrieb, sodass sie beim Waschen zumindest nicht zitterte. Unter dem Tuch, das das Tablett bedeckte, drang der Duft ihres gewohnten Frühstücks hervor – Kakao, Würstchen und Marmeladentoast.
»Wie haben Sie es geschafft, mir mein normales Frühstück zu besorgen?«, fragte Alcy neugierig, goss etwas von dem Wasser in die Schüssel und schrubbte sich eilig ab. »Die Zeichensprache hat ihre Grenzen, und selbst wenn ein paar von den Dienstboten Deutsch sprechen, Sie tun es nicht.«
Celeste schnaubte. »Ich muss bloß Französisch sprechen. Der Baron hat einen Kammerdiener aus Paris, der schon seit drei Jahren hier ist und sich weigert, auch nur ein einziges Wort des örtlichen Kauderwelschs zu erlernen. Er hat dafür gesorgt, dass alle hier wissen, was er von ihnen will, und heißes Wasser und Frühstück will er jeden Morgen.«
»Dann haben Sie ihn also kennengelernt«, stellte Alcy höflich fest, während sie sich heißes Wasser ins Gesicht spritzte und die Gelegenheit auskostete, ihre Zofe zur Abwechslung einmal selbst in die Defensive zu bringen.
Celeste gab einen entrüsteten kleinen Laut von sich. »Ja, Mademoiselle, aber Sie brauchen nicht so verschämt zu
tun. Ich bin nicht im Geringsten an ihm interessiert. Ich glaube nicht einmal, dass er aus einer guten Familie
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