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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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Guillaume hatte zweifelsohne etwas dagegen, seine ehemals exklusive Autorität über diese Gemächer mit einer Zofe zu teilen. Keiner von beiden hatte das Erscheinen des Hausherrn bemerkt.
    » Bonjour «, begrüßte Dumitru die beiden.
    Beide sprangen auf, und Guillaume versuchte, mit fast schon militärischer Präzision und Schneidigkeit seine Verblüffung zu kaschieren. » Oui, Monseigneur? «, fragte er mit einer förmlichen kleinen Verbeugung – die zweifelsohne in Richtung Zofe zielte.
    »Ich habe mich entschlossen, meine Morgentoilette hier draußen zu verrichten, um meine Frau nicht zu stören«, informierte ihn Dumitru in seinem trockensten Tonfall. Die Augen der kleinen Zofe leuchteten auf, obwohl Dumitru in seinem pariserischen Französisch geantwortet hatte – sie schien mit Guillaume nicht nur den Beruf, sondern auch die Nationalität gemein zu haben. Natürlich. Eine Frau von Alcyones Reichtum gab sich nur mit dem Besten und Modischsten zufrieden, von den Fächern über die Pferde bis hin zu den Dienstboten.
    » Pardonnez-moi «, murmelte die Zofe. Sie produzierte einen formvollendeten Knicks, der das weibliche Pendant zur Guillaumeschen Verbeugung hätte sein können, und schlüpfte in das leere Schlafzimmer der Hausherrin, wobei sie sich beim Schließen der Tür in peinlich genauer Vorsicht übte, die Dumitru zeigte, dass sie seine Rücksichtnahme zu schätzen wusste. Dumitru bedachte die alte Holztür mit einem schiefen Lächeln. Die Zofe würde ihrer Herrin jedenfalls keine Schmähungen ins Ohr flüstern.
    Guillaume verschwand die Treppe hinab, um für seinen
Herrn heißes Wasser zu ordern, damit der sich waschen und rasieren konnte. Da die Kochstelle und der riesenhafte Kamin hier oben nur im Winter benutzt wurden, stellte die Küche derzeit die nächstgelegene Warmwasserquelle dar.
    Während er auf seinen Kammerdiener wartete, betrachtete Dumitru den Salon mit ganz neuen Augen und überlegte, wie eine verwöhnte reiche Engländerin ihn wohl sehen musste. Selbst in den Gemächern des Hausherrn gab es auf Schloss Severinor kaum modernen Komfort. Alcys Räumlichkeiten in London wurden sicher von einem gemütlichen kleinen Ofen oder einem Kamin beheizt, der über einen raffinierten Abzug verfügte, und nicht mittels einer dreihundert Jahre alten Feuerstelle, die mehr nach drinnen als nach draußen qualmte und den Raum eher kälter machte, insofern man kein riesiges Freudenfeuer abbrannte. Sie war vermutlich an Wände gewöhnt, die mit Seide oder chinesischen Tapeten bespannt waren, doch hier gab es nur weiß getünchtes, kaltes Mauerwerk. Die Möbel waren schäbig und aus zig Generationen zusammengewürfelt, das Erbe einer noblen, aber verarmten Familie und meilenweit von den Ansprüchen einer reichen Industriellentochter entfernt. Es würde Alcy sicher nicht zufriedenstellen, wenn es so blieb.
    Und warum auch?, fragte er sich plötzlich. Ihre Mitgift war schließlich mehr als großzügig. Er würde es guthei ßen, wenn sie einen kleinen Teil davon in die Renovierung ihrer Privaträume steckten; und er würde es genießen, es zum ersten Mal, seit er Paris verlassen hatte, im Winter warm zu haben. Er lächelte und war schon jetzt mit sich und seiner alsbaldigen Großzügigkeit zufrieden. Alcy würde es ihm danken, da war er sich sicher.

    Die Morgensonne streichelte Alcyones Lider und weckte sie mit einer Flut aus rotem Licht. Allein. Ihr erster bewusster Gedanke galt der kalten Matratze neben ihr, eine Entdeckung, die sie mit Enttäuschung, Besorgnis und Erleichterung erfüllte. Sie rieb sich mit den Händen das Gesicht, setzte sich auf und wandte sich dem zu, was sie geweckt hatte. Sie schlug die Augen auf und sah nur Schönheit.
    Die lange Außenmauer des Zimmers trug ein halbes Dutzend Fenster, die im gotischen Stil die Aussicht rahmten. So weit das Auge reichte, hoben sich die Berge dem tiefblauen Himmel entgegen. Sie standen der Größe nach gestaffelt, wie eine Armee aus Stein. Unter ihren vom Wind geschorenen Gipfeln trugen sie dunkelgrüne Umhänge aus Pinien und Fichten, die unten in den geschützten Tälern helleren Laubbäumen wichen. Unten führte vom Tor der Festung ein Pfad zu einer kleinen Gruppe von Häusern, die sich an den mächtigen Fuß eines Berges drückte. Ein Flickenteppich aus Kornfeldern erfüllte das breite Tal sowie das schmalere daneben und zog sich bis zu den Bergen hinauf. Eine Schafherde wanderte wie eine kleine Formation aus erdverbundenen Wölkchen ziellos in der

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