Nacht des Verfuehrers - Roman
kehrte sein Grinsen zurück, und er sagte nur: »Der Punkt geht an dich.« Er drehte sich zu den Scheunen um, die im Licht des frühen Nachmittags leuchteten, während auf dem Hof langsam die Bauern zusammenliefen und auf eine Art und Weise zu arbeiten begannen, wie Alcy es manchmal selber tat, wenn sie an einem Ort zugegen zu sein wünschte, an dem sie eigentlich nichts zu schaffen hatte. »Dieser Winter ist der erste, in dem wir genug Heu und Silofutter haben, um den Großteil unseres Viehs durchzubringen; in dem Jahr sind wir nicht gezwungen, die halbe Herde zu schlachten.«
»So«, sagte Alcy und verstand diesmal durchaus.
Der Stallbursche brachte die Pferde – einen großen schönen Braunen für Dumitru und – statt des krummen Maultiers – eine feingliedrige schwarze Stute für Alcy. Als Dumitru ihr in den Sattel half, dachte sie reumütig daran, dass die Fähigkeiten des Reiters sich leider nicht so einfach auswechseln ließen wie das Reittier. Bis zu ihrem ersten schrecklichen Ausritt im Hyde Park im Alter von zwölf Jahren war sie immer nur auf den eigenen Füßen, in der elterlichen Kutsche oder mit dem Zug unterwegs gewesen. Obwohl sie ihre Angst vor dem Reiten schon vor langer Zeit überwunden hatte, hatte sie sich im Sattel nie wohlgefühlt
oder elegant ausgesehen. Und die fast übermenschliche Anmut, mit der Dumitru sich auf den Brauen schwang, verdeutlichte ihr das Manko nur.
Dumitru sah sich auf dem Sattelplatz um und lachte. »Wie es scheint, haben wir jede Menge Publikum.«
Alcy sah genauer hin. Dutzende von Leuten standen in der Nähe der Stallungen herum, und noch während sie hinschaute, kamen weitere dazu. Die meisten hatten es aufgegeben, eine Arbeit vorzuschützen, und beobachteten sie heimlich, während die Kinder offen gafften und miteinander tuschelten.
»Soll ich dich vorstellen?«, fragte er.
Alcy schluckte gegen die unvermittelte flatterige Nervosität in ihrer Magengrube an. Ihr Pferd fing ihrer Anspannung wegen an, rastlos zu tänzeln. »Vermutlich«, sagte sie und gab sich unbesorgt.
Dumitru warf ihr ein strahlendes Lächeln zu – zur Ermutigung? – und lenkte sein Pferd auf die nächstbeste Gruppe am Rand des Hofes zu. Die Namen, die er aufzählte, sagten ihr nichts. Es hätte sich genauso gut um eine Sammlung einzelner Silben handeln können. Aber sie lächelte und nickte wieder und wieder, bis sich sowohl ihr Hals als auch ihr Gesicht steif anfühlten. Sie blieb nah bei Dumitru – nicht dass er einen guten Schutzschild abgegeben hätte, denn er schien es zu genießen, ihr jeden Einzelnen vorzustellen. Die Bauern reagierten mit einer unangemessenen Ehrfurcht, sodass sich Alcy wie eine unzureichende Una fühlte, die den Rotkreuz-Rittern aus der Legende nachreitet.
Erst als keiner mehr übrig war, drehte Dumitru sich wieder zu ihr um. »Bereit, dir die Felder anzusehen?«
»Aber natürlich«, sagte sie erschlagen.
»Dann lass uns losreiten.« Damit wendete er sein Pferd, ritt zwischen den Scheunen hindurch vom Hof und überließ es Alcy, ihm zu folgen.
Warum habe ich dem bloß zugestimmt?, fragte sich Alcy drei Stunden später. Heute Morgen hätte sie noch behauptet, froh zu sein, wenn sie die nächsten sechs Wochen weder ein Maultier noch ein Kamel noch ein Pferd zu sehen bekam, und jetzt folgte sie einem Mann, der entschlossen schien, ausgerechnet heute jeden Zoll seiner Besitzungen höchstpersönlich in Augenschein zu nehmen. Reiten war schon unangenehm genug, aber dann noch mit einem sattelwunden Hintern und Oberschenkeln, die aus ganz anderen Gründen verspannt waren – peinlichen, peinlich erregenden Gründen. Zudem war der Ausritt langweilig und aufgrund der vielen Unterbrechungen unbequem. Dumitru besprach sich ausführlich mit einer ganzen Reihe von Untergebenen, was ohne Zweifel hätte interessant sein können, hätte Alcy auch nur ein einziges Wort verstanden.
Hätte sie im Salon oder selbst auf dem Sattelplatz auch nur einen Augenblick nachgedacht, hätte sie an der Unternehmung gezweifelt. Doch sie hatte nicht nachgedacht. Es war so leicht, sich von allem, woran Dumitru interessiert war, mitreißen zu lassen. Im hellen Licht des Tages sah er zwar nicht mehr so mysteriös und bedrohlich aus, aber dennoch umgab ihn eine Aura der Macht, die mehr mit seinen funkelnden Augen und seiner leidenschaftlichen Sprechweise zu tun hatte als mit breiten Schultern oder einem kräftigen Kinn. Er konnte sich nicht vorstellen, dass
irgendwer nicht seiner Meinung
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