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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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leicht. »Ich habe keine Geschwister, also durfte ich im Kinderzimmer wohnen bleiben und es nach meinen Bedürfnissen gestalten. Außerdem hatte ich das Schulzimmer für mich allein. Aus dem Spielzimmer wurde mein persönlicher Salon und aus dem Zimmer der Amme das Ankleidezimmer. Und später habe ich das Schulzimmer nach eigenem Gusto zum Studierzimmer umfunktioniert, in dem dann auch die offiziellen Unterrichtsstunden stattfanden.«
    »Warum dann nicht gleich vier Zimmer?«, fragte Dumitru unwillkürlich. »Es gibt auf diesem Stockwerk schließlich noch ein Zimmer.« Er nickte in Richtung der geschlossenen Tür an jener Wand, die nicht zwischen dem Salon und den Schlafzimmern verlief. »Das Studierzimmer meines Großvaters, es wird schon seit dreizehn Jahren nicht mehr benutzt. Das alte Studierzimmer, das Kabinett, liegt direkt neben der Großen Halle und ist weit besser zugänglich.
Deshalb sind wir nach Großvaters Tod dorthin zurückgekehrt. Großvater hat es gefallen, dass sein Studierzimmer so schwer zu erreichen war – er hat immer gesagt, die vielen Treppen brächten die Leute dazu, ihre Sachen selber zu regeln, anstatt wegen jeder Kleinigkeit den Grafen zu behelligen.«
    Alcyone lächelte. »Er muss ein interessanter Mann gewesen sein. Danke. Ich nehme das Zimmer gern. Ich muss da vermutlich gleichfalls einen Ofen einbauen lassen?«
    »Unbedingt«, sagte Dumitru, und fragte sich plötzlich, wie viel von dem Geld, das er eigentlich für den Bau seines Kanals hatte verwenden wollen, jetzt in die Renovierung fließen würde.
    Was stimmte nicht mit ihm? Den einen Augenblick spornte er sie an, mehr und mehr Geld auszugeben, den anderen verachtete er sie wegen ihrer Bedürfnisse, die im Hinblick auf ihre Herkunft und ihre Erwartungen absolut verständlich waren.
    »Ich habe übrigens auch mein Taschengeld von einem ganzen Jahr dabei – zweihundert Pfund«, fuhr sie fröhlich fort. »Ich habe es in Wien in österreichische Taler umgetauscht, Maria-Theresia-Taler. Frau Bauer, die Cousine meiner Mutter und meiner Tante Rachel, hat mir versichert, dass sie hier im Umlauf sind. Wie auch immer, das müsste zumindest für den Umbau meines Zimmers reichen. Schließlich brauche ich nur zwei Wände und zwei Türen.«
    »In der Tat«, sagte Dumitru und zog den unausweichlichen Vergleich zu seinen eigenen Mitteln. Obwohl er ein geschätztes Jahreseinkommen von zwölftausend englischen Pfund erwirtschaftete, belief sich sein verfügbares
Einkommen auf durchschnittlich zweitausend Pfund. Und das bei sparsamstem Haushalt und inklusive des geheimen Informationshandels. In Paris, zu Lebzeiten seines Vaters, hatte er pro Jahr mit ganzen dreihundert Pfund auskommen müssen.
    »Welchen Wochenlohn bekommen hier die Arbeiter?«, fragte Alcyone. »In England wäre ein Pfund pro Nase für eine Arbeit wie diese schon viel.«
    Dumitru erwog, für den Umbau ein paar der Dienstboten freizustellen. Aber es gab zu viel zu tun, und seine Pächter konnten das Geld, das Alcy sonst vielleicht für Kleider und andere Frivolitäten ausgab, gut gebrauchen. Zudem konnte er sie übervorteilen, sie würde es vermutlich niemals merken. Doch er wusste, was ein plötzlicher, ungerechtfertigter Zustrom von Geldmitteln in einem geschlossenen Markt anrichten konnte, und er hatte nicht vor, die Inflation zu fördern. Also sagte er nur: »Ich werde die notwendigen Arbeitskräfte anheuern und dir die Rechnung geben. Die Löhne hier belaufen sich auf weniger als ein Viertel dessen, was in England bezahlt wird.«
    Der Gedanke an das leidige Geld verdüsterte nur seine Stimmung. Er schüttelte im Geiste den Kopf und zwang sich, an etwas anderes zu denken. An seine nachmittäglichen Pflichten zum Beispiel. Er musste noch einmal zu den neuen Terrassen, um nachzusehen, wie die Arbeiten vorankamen. Der Sommerweizen würde in wenigen Wochen reif sein, und er würde bereits den Ertrag abschätzen können, den die verschiedenen, neu importierten Sorten einbrachten. Er schaute zum Fenster hinaus auf das Land und ging im Geiste die Liste der Aufgaben durch, die noch vor Sonnenuntergang zu erledigen waren. Das Land sah
von hier oben so friedlich aus, so reglos. Und dennoch hatte er die fünftausendfünfhundert Quadratkilometer, auf die sein Reich sich belief, in ein fundamentales Chaos gestürzt. Aber was hätte er anderes tun können? Seinen Leuten und sich selbst dabei zusehen, wie sie allesamt immer weiter der Bedeutungslosigkeit anheimfielen, bis die modernen Zeiten

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