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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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und von einer malerischen Kantigkeit, aber verglichen mit dem, was sie über die Schweizer und die italienischen Alpen gelesen hatte, war er doch nur ein Hügel.
    »Ich weiß«, sagte er, während das erste Abendlicht das schwarz gesträhnte Haar vergoldete, das unter seinem Hut hervorfiel, als er das Kinn reckte. »Der Name ist lächerlich.
Die Bauern nennen sie einfach nur ›die Berge‹ oder auch ›die Karpaten‹. Aber einem englischen Kartographen reicht das eben nicht. Einer von ihnen hat ihnen diesen Namen verpasst, vermutlich aus schierer Verzweiflung über den weißen Fleck auf seiner Karte, in den er nichts zu schreiben wusste.« Er sah sie von der Seite an. Das schelmische Blitzen in seinen Augen und das unwiderstehliche Zucken seiner Mundwinkel straften den hochmütigen, missbilligenden Tonfall Lügen. Alcy unterdrückte ein Zittern, dachte plötzlich wieder an ihre schmerzenden Beine und daran, wie er sie am Abend zuvor geküsst hatte – tausendmal zu wenig.
    »Und so wurden aus den Karpaten die Alpen«, fuhr Dumitru fort. »Kartographen sind nicht gerade für ihre Dichtkunst oder ihre Phantasie bekannt. Dergleichen spielt in der modernen Kartographie keine Rolle mehr.«
    »Will sagen ›Jenseits dieser Stelle werden Drachen sein‹ klingt um vieles interessanter als ›Dresden‹«, sagte sie und versuchte sich in einem unsicheren Lachen.
    »Genau«, sagte er mit übertriebener Begeisterung, was ihm gar nicht aufzufallen schien.
    Alcy begriff, dass sie ihn wie eine Närrin angrinste. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt gegrinst hatte. Diese verblüffende Erkenntnis vertrieb ihr das Grinsen allerdings gleich wieder aus dem Gesicht, doch Dumitru schaute ohnehin in die Sonne, die auf dem Gipfel hinter ihnen balancierte, und bemerkte es nicht.
    »Wir sollten zusehen, dass wir vor Sonnenuntergang zurück sind, aber nur gerade so«, sagte er. »Du hast doch nichts dagegen, wenn wir genüsslich im Schritt reiten, oder?«

    »Natürlich nicht«, sagte sie freundlich. Sie konnte nicht anders, sie war einfach ein wenig stolz auf ihre Umgänglichkeit. Sie war die letzten Stunden über nicht im Mindesten unkonventionell oder schwierig gewesen, und das vor dem Mittagessen war ganz allein Dumitrus Schuld, weil er sie mit ihren Büchern überrascht hatte.
    Sie ritten schweigend nebeneinander her. Alcy freute sich an der Sonne, die ihr den Rücken wärmte, und an dem schönen Gefühl, sich den ganzen Nachmittag über nicht selbst in Verlegenheit gebracht zu haben. Die Nacht kam schnell näher, und das orangefarbene Licht des Sonnenuntergangs tauchte die graue Schlossmauer in glühendes Feuer. Hinter dem Seiteneingang, auf den die Straße zuführte, waren Stimmen zu hören, und zwei Männer gingen gerade hinein, lange Hacken über der Schulter.
    »Wo wohnen all diese Leute?«, fragte sie, als ihr aufging, dass sie mittlerweile Hunderte von Leuten gesehen hatte, aber nichts, was einem entsprechenden Dorf auch nur ähnelte.
    »Im Burghof stehen sechsundvierzig Cottages«, sagte Dumitru, als sei daran nichts ungewöhnlich. »Du hast sie vermutlich nicht bemerkt, als wir aufgebrochen sind, dazu hat die Vorstellerei dich zu sehr mitgenommen.« Alcy errötete, weil sie so leicht zu durchschauen war, sagte aber nichts. »Das Dorf wurde in den Tagen meines Urgroßvaters in den Hof verlegt, weil ein paar serbische Hajduk-Banden übermütig wurden und die Donau überquerten, um in der Walachei zu plündern.« Er sah sie von der Seite an. »So arm wir auch sein mögen, reicher als die Leute, die unter osmanischen Steuergesetzen leben, sind wir noch immer. Die Serben glauben, dass es eine Form des sozialen
Protestes ist, osmanische Karawanen zu überfallen, also beherbergen viele der Bauern die Banditen, idealisieren sie und werden dafür an der Beute beteiligt.«
    »Genau wie bei Robin Hood«, sagte Alcy.
    Dumitru lachte, aber es hörte sich nicht belustigt an. »Euer englischer Robin Hood hat aber niemanden massakriert oder vergewaltigt, meine geliebte Frau. Die Hajduken kennen keine Gnade, wenn sie auf einen Türken treffen, und dann ist es nicht mehr weit hin, bis alle Fremden so behandelt werden. Nun, zumindest die Ärmeren. Die Reichen erpressen sie nur. Die Banden, die die Donau überquert haben, um von den walachischen Bauern zu stehlen, waren außergewöhnlich tollkühn. Aber was ihre Taten angeht, waren sie wie alle Hajduken. Diese Männer muss man fürchten, nicht bewundern.«
    Sie passierten das Tor, und

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