Nacht des Verfuehrers - Roman
Reisende lachte und verbeugt sich vor den beiden. »Mein lieber Graf«, sagte er auf Deutsch und seine kleinen, klugen Augen blitzten. »Ich habe gehört, dass Sie sich verheiratet haben, aber ich hatte nicht mit dem Vergnügen gerechnet, Ihre Braut kennenlernen zu dürfen. Wenn ihr Temperament nur halb so süß ist wie ihr Gesicht, sind Sie der glücklichste Mann auf Erden.«
»Sie brauchen nicht neidisch zu sein, denn ich darf Ihnen versichern, dass dem nicht so ist«, erwiderte Alcy automatisch.
Anstatt beleidigt zu sein, brach der Mann in Gelächter aus. »Brillant! Sie haben mein Herz erobert!«
Dumitru lächelte diesmal nicht. »Gräfin«, sagte er steif zu Alcy. »Darf ich vorstellen, Nikolai Iwanowitsch. Er ist einer der Diplomaten, von denen ich erzählt habe.«
»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte Alcy. Sie warf Dumitru einen fragenden Blick zu. »Wir sehen Sie doch hoffentlich zum Abendessen.«
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein«, erwiderte Dumitru eisig. Kaum eine Minute später hatte er den Russen
schon ins Kabinett gescheucht, und Alcy sah den Mann erst wieder, als er am nächsten Morgen abreiste. Als sie das Thema am Abend ansprach, meinte Dumitru: »Je weniger du mit Männern wie ihm zu tun hast, desto sicherer ist es für uns beide.« Da bedrängte Alcy ihn nicht weiter.
Wenn Dumitru nicht die Pflicht rief und Alcy keinen plötzlichen Einfall hatte, den sie unbedingt sofort zu Papier bringen musste, ritten sie nach dem Mittagessen fast jeden Tag aus. Brauchte Alcy Bewegung, um besser nachdenken zu können, und Dumitru war anderweitig beschäftigt, unternahm sie in Begleitung eines bewaffneten Stallburschen einen Ausritt. Obwohl es fünf Jahre her war, seit die Hajduken oder andere einheimische Banditen irgendwelche Probleme gemacht hatten, bestand Dumitru darauf, dass sie eine Wache mitnahm, und da der Stallbursche sie reiten ließ, wo immer sie hinwollte, akzeptierte sie diese Vorsichtsmaßnahme.
Es war nach einem jener Ausritte, dass Alcy nachmittags das Herrenhaus betrat und das Erdgeschoss durchquerte, als sie eine fremde, donnernde Stimme hörte und wie angewurzelt stehen blieb.
» Wo ist meine Frau?«
Alcy stand erstarrt am Fuß der Treppe. Der Mann sprach Deutsch, was auf seinen adeligen Stand schließen ließ, doch die Worte und der Tonfall hätten ausgereicht, ihn als einen Menschen zu identifizieren, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen. Und ihr fiel nur ein Mensch ein, der nach Schloss Severinor hätte kommen können, um die Herausgabe einer falsch platzierten Ehefrau zu verlangen.
Sie machte kehrt und hastete in den Gang zwischen der Speisekammer und Dumitrus Kabinett, um einen Blick in
die Große Halle zu werfen. Da waren zwei Männer, die ihr das Profil zudrehten und einander ansahen: Dumitru und ein Fremder mit blondem Haar. Alcy hielt die Luft an; sie wollte sehen, wie sich die Szene weiterentwickelte. Sobald nur einer von beiden aus dem Augenwinkel die geringste Bewegung wahrnahm, war es aus und vorbei. Sie sehnte sich einen Wandteppich herbei, um sich dahinter zu verstecken, wie Polonius in der Kammer Königin Gertrudes, doch die blanken Steinwände spielten nicht mit. Um einen Winkel als Versteck zu finden, würde sie schon unter den Augen der Männer den ganzen Raum durchqueren müssen.
Zumindest war die Sicht exzellent. Das nutzte sie aus und studierte den Fremden mit dem goldenen Haar eingehend, während die beiden Männer einander finster anstarrten. Er war genauso groß wie Dumitru, hatte aber eine schmächtige Dichtergestalt, was die dröhnende Stimme, die diesem Resonanzkörper gerade entwichen war, umso erstaunlicher machte. Selbst im Profil erkannte sie die jungenhaften, hübschen Gesichtszüge wieder, die in dem Medaillon verewigt waren, das sie noch im Schlafzimmer aufbewahrte.
Benedek János. Wer sonst?
»Sie haben sie gestohlen, Sie niederträchtiger Spion!«, rief Benedek, und seine Worte hallten im ganzen Raum wider. Er stand steif und stolz da, der Inbegriff selbstgerechter Empörung. »Ich weiß, was Sie wollen – mir meine Geheimnisse entlocken, die Planungen verkaufen, die ich zu ihrer Sicherheit gemacht habe. Niemals!« Seine Stimme schwoll eindrucksvoll an. »Auch wenn ich sie im Lauf unserer Korrespondenz lieben gelernt habe, liebe ich mein
Vaterland doch noch mehr. Und nichts kann mich dazu bringen, es zu verraten!« Die letzten Worte kamen leise und traurig heraus.
Er hatte sie immer noch nicht bemerkt, aber
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