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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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das würde sie vielleicht teuer zu stehen kommen. Dumitrus Banditengeschichten kamen ihr wieder in den Sinn, und jeder Akt der Barbarei erlangte eine neue schrecklichere Bedeutsamkeit. Dumitru … Nur seinen Namen zu denken tat weh. Dumitru, Dumitru, warum hast du das getan? Die Leere in ihr kollabierte, spie wieder Zorn und Schmerz in ihr Bewusstsein. Alcy stöhnte erstickt, biss sich aber fest auf die Unterlippe und sagte sich, dass die Tränen, die sie wegblinzeln musste, vom Schmerz stammten.
    Plötzlich drang ein plätscherndes Geräusch zu ihr durch und wusch alles weg. Raisin und sie hatten einen Fluss gefunden. Das Pferd bewegte sich mit gespitzten Ohren voran, die Nüstern vor Vorfreude bebend.
    »Gutes Mädchen«, sagte Alcy erleichtert. »Gutes Mädchen.«
    Die Stute schob sich schulterhoch ins Unterholz und kam am Flussufer wieder heraus. Sie senkte den Kopf, um begierig zu trinken. Alcy ließ sie fertig saufen, bevor sie das Tier das Flussufer hinaufdirigierte, um nach einer Lichtung zu suchen.
    Mit Einbruch der Nacht flohen die Farben aus dem Wald. Die Sonne verschwand einfach hinter dem Horizont und nahm ohne Abendrot jegliches Licht mit. Die Bäume um sie herum waren nur noch vage graue Schatten, als Alcy endlich einen Rastplatz fand. Sie glitt aus dem Sattel, und die Beine knickten ihr beinahe ein. Sie hielt sich am Steigbügel fest, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Sie hatte gar nicht gespürt, wie sehr der lange Ritt sie ermüdet hatte. Sie hatte, genau genommen, kaum etwas
gespürt. Aber jetzt überrollte sie die Erschöpfung, und sie blinzelte gegen den Schlaf an. Sie war in ihrem ganzen Leben noch nie so weit geritten. Ihr fiel auf, wie bequem damals der Sechs-Tages-Ritt nach Severinor im Vergleich gewesen war. Sie waren spät aufgebrochen, gemächlich geritten und hatten häufig pausiert. Gut, sagte sie sich, das bedeutet, dass ich erheblich schneller in Orsova sein kann. Und doch hatte sie bei dem Gedanken an ihre Ankunft ein ungutes Gefühl. Was hatte sie sich nur gedacht? Wo wollte sie eigentlich hin? Was sollte nach Genf aus dem Rest ihres Lebens werden?
    Sie schob die Fragen beiseite, hievte die Satteltaschen auf den Boden und wäre fast unter dem Gewicht des Sattels gestrauchelt. Sie rieb das Pferd ungeschickt trocken und band es in Reichweite des Wassers und mit viel Gras im Umkreis an einem Baum fest.
    Ihr lächerliches, unpraktisches Reitkostüm kam ihr bei jedem Schritt in die Quere; es behinderte ihre Arme, wenn sie die Rockschlaufe an ihrem Arm nach oben schob, und verhedderte sich zwischen ihren Beinen, wenn sie den Rock schleifen ließ. Ich wusste nicht, wie recht ich hatte, als ich Dumitru erklärte, dass Ladys nur zur Zierde dienten, dachte sie. Und dann: Ach, lieber Gott, müssen meine Gedanken denn ständig um ihn kreisen? Sie durchwühlte mit einem frustrierten Aufschrei die Satteltaschen, bis sie das Messer fand, das sie aus seinem Zimmer gestohlen hatte. Sie hieb wie wild auf den schleifenden Rock ein, als könne sie sich ebenso leicht von Dumitru trennen, wie die Klinge den Stoff durchschnitt. Sie benutzte einen Streifen, um eine grobe Messerscheide zu knüpfen, die sie sich um die Taille binden konnte. Das fremde Gewicht an ihrer
Hüfte machte ihr irgendwie Mut, und sie schob die Decken zu einem Lager zusammen, während hinter ihr der kalte Mond aufging. Dann zwang sie sich, ein trockenes Stück Brot und ein wenig Käse zu essen.
    Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so allein und schutzlos gefühlt. Wo ist er? Sie konnte nicht aufhören, sich diese Frage zu stellen, und auch wenn sie seinen Namen mied, machte das die Überlegung nicht bedeutungsloser. Wusste er bereits, dass sie fort war? Inzwischen sicher, vermutlich sogar schon länger. War er wütend? Verfluchte er sie und hatte sie aus seinem Leben gestrichen? Die Vorstellung schmerzte sie, selbst wenn sie sich für ihre dumme Gefühlsduselei verfluchte. Verfolgte er sie, was ihr am wahrscheinlichsten schien? Und in einem kindischen, bösen, verletzten Winkel ihres Gehirns flüsterte es: Ob es ihm leidtut?
    Aber Alcy kannte Dumitru, kannte ihn vermutlich besser als jeden anderen. Es würde ihm nicht leidtun. Er würde wütend und selbstgerecht reagieren. Er mochte ein wenig verletzt sein, ein wenig verwirrt – leidtun würde es ihm nicht. Sie bezweifelte, dass ihm je etwas wirklich leidgetan hatte. Er würde sie jagen, da war sie sich sicher, aber er würde sie nicht um Verzeihung bitten.

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