Nacht des Verfuehrers - Roman
Nein, er würde sie wie eine Kriegsbeute nach Severinor zurückbringen und sie für den Rest ihres Lebens in seinem Turm einsperren, damit sie ihm nie mehr eine solche Schande machen konnte.
Während Raisin ihre Gräser malmte, sah Alcy zitternd zum kalten kristallinen Himmel auf, der sich über ihr bis in die Ewigkeit erstreckte. Tausende entfernte Sonnen glitzerten gleichgültig auf die kleine Lichtung herab. Sie hatte
nie einen solchen Himmel gesehen, denn sie war nachts ja immer im Haus oder in einer nebelverhangenen Stadt gewesen; oder es hatte künstliches Licht sie geblendet. Sie hatte Galileos und Keplers Werke über die Mechanik der Planeten gelesen, und sie hatte Newtons Berechnungen zur Interaktion zwischen Mond und Tidenhub gelesen, doch sie hatte nie nach oben gesehen und das raue wilde Nichts erblickt, das die antiken Gelehrten vor so langer Zeit dazu gebracht hatte, die Zwillingswissenschaft aus Mathematik und Astronomie ins Leben zu rufen. Irgendwie schien diese eine Erkenntnis ihr ganzes Leben zusammenzufassen. Nie mehr, schwor sie sich. Nie mehr.
Ihre Gedanken zentrierten sich wie auf einer Töpferscheibe unausweichlich auf Dumitru: auf seine Hinterlist, aber auch auf sein Lächeln, seine Küsse, sein Temperament und seinen Körper und seinen Intellekt, bis alles zu einer weiß glühenden Agonie verschmolz, die nicht zu ertragen war.
Alcy sehnte sich verzweifelt nach einem lebendigen Wesen, und sie wusste, dass sie ohnehin nicht würde schlafen können, obwohl Erschöpfung sie in großen Wogen überrollte. Also band sie Raisin los, hielt das Seil in der steifen Hand und setzte sich, in ihren Umhang und drei Decken gehüllt, in die Mitte der Lichtung. Sie sah ihrem Atem zu, der im Mondlicht gespenstische Wirbel vollführte, dachte an Dumitru und weinte nicht.
Sie weinte nicht – es schien so simpel, und doch brauchte sie ihre ganze Willenskraft, um ihre Tränen in Schach zu halten. Die Sterne trieben langsam über den Himmel, während sie trockenen Auges nach oben starrte, und der Mond stieg auf und schrumpfte auf seiner Bahn. Ihr Gesicht war
taub vor Kälte, bis es sich kaum noch wie das ihre anfühlte. Und es war dieses andere Gesicht, das schließlich die Augen schloss und mit einer glitzernden Träne auf der Wange in den Schlaf sank.
Auf dem Sattelplatz leuchteten die Fackeln, doch die Schatten außerhalb des Flammenrings waren dunkler als zuvor. Pferde, Männer und Hunde waren in orangefarbenes Licht getaucht. Alles fieberte vor Aufregung, während der Rest des Dorfes am Rand des Platzes versammelt stand, flüsternd und gestikulierend.
Der junge Graf hat seine Frau verloren. Die junge Gräfin ist fortgelaufen. Warum, warum, warum?
Dumitru saß zornig und mit starrem Rücken auf Bey und überließ das Gebrüll Volynroskyj, der den Suchtrupp zusammenstellte. Seine Angst um Alcy war nicht verflogen, aber der Zorn über das erniedrigende Spektakel, dem Alcy ihn ausgesetzt hatte, überlagerte die Furcht. Er konnte das Gekicher und den Spott seiner Leute förmlich hören. »Den jungen Grafen« nannten sie ihn in einem Tonfall, als müssten ihm die jugendlichen Flausen ausgetrieben werden. Er hatte sich sechs anstrengende Jahre lang ihren Respekt erarbeitet – wie viel davon hatte Alcys verwegene, dumme Tat ihn gekostet? Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hatte sie ihm auch noch seine Lieblingspistole gestohlen; er war gezwungen gewesen, die seines Großvaters zu nehmen – die, mit der er in jene Schlacht geritten war, in der man ihn schließlich niedergeschossen hatte. Das bedeutet Pech, warnte ihn seine abergläubische, walachische Seele, doch er ignorierte die Worte.
Er zürnte im Geiste mit Alcy, bedachte sie mit jedem
Schimpfwort, das er kannte. Aber ein Winkel seines Verstandes, der sich nie zuvor bemerkbar gemacht hatte, flüsterte: Und was hättest du an ihrer Stelle getan? Doch er schob die Frage beiseite und ließ das Biest in sich regieren, denn er brauchte den Zorn und die Selbstgewissheit.
Endlich nickte Volynroskyj ihm zu. Alles war bereit. Er erteilte Order zum Aufbruch. Der riesige Suchtrupp ritt durch das weit geöffnete Tor auf die Straße, auf der der alte Radu Alcy kurz vor Mittag gesehen haben wollte. Dort hielt man den Hunden Raisins Decke hin, dann ließ man sie frei, und die Reiter setzten ihnen nach.
Die Hunde schossen wie weiße Pfeile in ein Dutzend Richtungen über die schwarze Erde, sie wedelten, hielten inne, sammelten sich zu einem Rudel aus
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