Nacht in Havanna
eine zweite Collegeausbildung.«
»Ach ja?« Arkadi war durchaus bereit, sich weiterzubilden.
»Wie die Sache mit den Stiefeln«, sagte Walls. »Den Kubanern gingen die Stiefel aus. Wir haben erfahren, daß die USA einen Überschuß an Stiefeln für einen Dollar das Paar loswerden wollten.
Wir haben den Posten komplett aufgekauft, weswegen die kubanische Armee heute in amerikanischen Kampfstiefeln marschiert.«
»Sie müssen hierzulande sehr beliebt sein.«
»Ich denke, daß George und ich von den Leuten geschätzt werden«, sagte O’Brien.
»Aber wie machen Sie das von Kuba aus? Man sollte meinen, daß es dazu einer dritten Partei bedarf.«
»In einem Drittland, natürlich.«
»In Mexiko, Panama?«
O’Brien rutschte auf seinem Sitz hin und her. »Arkadi, Sie müssen aufhören, ständig den Polizisten raushängen zu lassen. Ich habe im Lauf der Jahre vielen Polizisten in Ihrer Lage geholfen, aber es ist eine Sache von Geben und Nehmen. Sie wollen dies und jenes wissen, aber Sie haben mir noch immer keine glaubwürdige Erklärung dafür gegeben, wie Sie auf dem Pier des Havana Yacht Clubs gelandet sind.«
»Ich habe einfach Orte besucht, an denen Pribluda gewesen sein könnte.«
»Und was hat Sie auf den Gedanken gebracht, daß er dort gewesen sein könnte?«
»In seiner Wohnung hing ein Stadtplan, und der Club war markiert.« Was durchaus der Wahrheit entsprach, aber nicht so sehr wie das Foto. »Es war ein alter Stadtplan.«
»Nur ein alter Stadtplan? So haben Sie vom Havana Yacht Club gehört? Erstaunlich.«
Das Hotel Capri war eine Miniaturausgabe des Riviera, ein Hochhaus ein wenig abseits des Malecon, nicht im schicken Miramar und auch ohne Kuppel und Wendeltreppe, dafür mit einer schlichten Lobby, die mit Glas und Chrommöbeln ausgestattet war. Im ersten Stock hatten Kubaner keinen Zutritt; sie saßen unten und schlürften Cola, als würden sie, wenn nötig, den ganzen Tag darauf warten, daß eine Verabredung eintraf. Ventilatoren rotierten über Topfpflanzen.
»Ich komme einfach nicht über diesen Mantel hinweg«, sagte Walls zu Arkadi. »Was dagegen, wenn ich ihn mal anprobiere?«
»Nur zu.«
Obwohl Arkadi nicht wollte, daß andere Menschen den Mantel auch nur anfaßten, half er Walls hinein. Der Mantel spannte ein wenig an den Schultern. Er strich mit den Händen über den Kaschmirstoff und das Seidenfutter und tastete Innen- und Außentaschen ab.
O’Brien beobachtete die Modenschau und fragte: »Was denkst du?«
»Ich denke, er ist ein Mann mit leeren Taschen.« Walls gab Arkadi den Mantel zurück. »Aber schick. Konnten Sie sich den von Ihrem Ermittlerlohn leisten? Gut für Sie.«
»Ein gutes Zeichen für uns alle.« O’Brien führte sie aus der Lobby durch eine Tür in ein kleines, verdunkeltes Theater, in dem Arkadi Ränge, Bühne, Lautsprecher und farbige Deckenstrahler nur in Umrissen erkennen konnte. »El Salon Rojo. Das war damals kein Cabaret, sondern etwas Besseres. Bemühen Sie Ihre Phantasie, und stellen Sie sich rote Vorhänge, einen roten Teppich und rote Samtlampen vor. In der Mitte vier Blackjack- und vier Roulettetische. In den Ecken Seven-Eleven und Bakkarat. Mädchen, die Zigarren verkaufen, und ich meine wunderschöne Mädchen, die kubanische Zigarren verkaufen. Vielleicht auch ein bißchen Kokain, aber wer braucht das schon? Man hört die Roulettekugel rollen, die Aufregung um einen Würfeltisch. Der Croupier sagt: Falles votrejeu, und die Menschen setzen. Spielen Sie, Arkadi?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich habe kein Geld zum Verlieren.«
»Jeder hat Geld zum Verlieren. Die Armen spielen ständig. Was Sie meinen, ist, Sie verlieren nicht gern.«
»Vermutlich.«
»Nun, Sie sind ungewöhnlich, die meisten Menschen brauchen es. Wenn sie zufällig gewinnen, spielen sie so lange weiter, bis sie verlieren. Heute wird auf der ganzen Welt mehr gespielt als je zuvor in der Geschichte der Menschheit.« O’Brien zuckte die Achseln, als könnte er sich dieses Phänomen auch nicht erklären. »Vielleicht liegt es an der Jahrtausendwende. Als ob die Leute alle irdischen Güter loswerden wollten, nicht in einer Kirche, sondern in einem Kasino. Die Leute sind bereit, alles zu verlieren, solange sie sich dabei amüsieren. Es ist unwiderstehlich. Es ist menschlich. Der übelste Nepp auf der Welt ist ein Kasino, wo sie einem das Geld nicht abnehmen.«
»Waren Sie vor der Revolution schon einmal hier?«
»Ein dutzendmal. Gott, das ist lange her.«
»Haben Sie
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