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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Karre geschoben hat, die offenbar mit Schwarzmarktwaren beladen war. Nun, was für Waren? Vielleicht sind sie noch da. Irgend jemand muß sich darum kümmern.«
    »Du willst doch nicht allein gehen?«
    »Sehe ich aus, als wäre ich verrückt? Nein, ich werde jede Menge Verstärkung mitnehmen, das kannst du mir glauben«, sagte Ofelia. Einen Moment lang wirkte sie sehr gelassen, bevor sie plötzlich erschrocken ihre Brille ins Gesicht zog.
    Arkadi drehte sich um und sah zwei Mädchen in braunen Schulpullovern. Sie hatten grüne Augen und Haare mit goldgelben Strähnen. In der Hand hielten sie beide eine Waffel mit Eis, das nah genug war, um ihm auf die Schulter zu tropfen. Eine energische grauhaarige Frau in einem Kittel und Turnschuhen marschierte entschlossen hinter ihnen her.
    »Mama?« fragte Ofelia. »Warum sind die Mädchen nicht in der Schule?«
    »Sie sollten eigentlich in der Schule sein, doch sie sollten auch von Zeit zu Zeit ihre Mutter sehen, meinst du nicht auch?« Ofelias Mutter taxierte Arkadi. »O mein Gott, es stimmt also wirklich. Jeder trifft einen netten Spanier oder einen kleinen Engländer, und du findest einen Russen. Mein Gott.«
    »Ich habe sie nur gebeten, mir ein paar Toilettenartikel zu bringen«, erklärte Ofelia Arkadi.
    »Sie macht einen unglücklichen Eindruck«, sagte Arkadi. »Biete ihr bloß nicht deinen Stuhl an!«
    Aber es war schon passiert, und ihre Mutter machte es sich auf Arkadis Platz bequem.
    »Meine Mutter«, murmelte Ofelia, um sie einander vorzustellen. »Mein Gott«, sagte ihre Mutter.
    »Angenehm«, erwiderte Arkadi.
    Mit unverhohlenem Stolz sagte Ofelia: »Meine Töchter Muriel und Marisol. Arkadi.«
    Die Mädchen stellten sich auf die Zehenspitzen, damit er ihnen einen Kuß geben konnte.
    »Wo hast du bloß einen Russen aufgetrieben?« fragte ihre Mutter.
    »Ich dachte, die wären alle weg, praktisch ausgestorben.«
    »Er ist Chefermittler aus Moskau.«
    »Gut. Hat er etwas zu essen mitgebracht?«
    »Sie sehen genauso aus wie du«, erklärte Arkadi Ofelia.
    »Du bist so schick angezogen.« Muriel musterte Ofelia von oben bis unten.
    »Das sind neue Sachen«, stelle Ofelias Mutter fest und begutachtete die Kleider genauer. »No hablo Espanol«, sagte Arkadi. »Das ist auch besser so«, versicherte Ofelia ihm. »Hat er die Sachen gekauft?«
    »Wir arbeiten zusammen.«
    »Das ist etwas anderes. Ihr seid Kollegen, die zum Ausdruck gegenseitiger Wertschätzung Geschenke austauschen. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten.«
    »Es ist nicht, wie du denkst.«
    »Bitte, belehre mich nicht, wenn ich Hoffnungen hege. Er ist gar nicht so übel. Ein bißchen mager vielleicht. Ein oder zwei Wochen Reis und Bohnen, und ihm geht es prächtig.«
    »Magst du ihn?« fragte Marisol Ofelia. »Er ist ein netter Mann.«
    »Puschkin war ein russischer Dichter«, sagte ihre Mutter. »Er hatte afrikanisches Blut.«
    »Das weiß er bestimmt schon.«
    »Puschkin?« Arkadi dachte, er hätte etwas gehört, an das er anknüpfen konnte.
    »Hat er eine Pistole?« fragte Muriel. »Er hat keine Pistole bei sich.«
    »Aber er kann schießen?« fragte Marisol. »Er ist der Beste.«
    »Der Schießstand!« riefen die Mädchen wie aus einem Mund. »Sie sehen dich so selten«, sagte Ofelias Mutter. »Du solltest ihnen den kleinen Spaß nicht verderben, und dein russischer Meisterschütze kann ein bißchen angeben.«
    Der Schießstand war ein ausgeweideter Bus auf Blöcken, die Rückseite war durch einen Tresen mit Luftgewehren ersetzt worden. Hinter dem Tresen war ein Arsenal von aus Blechdosen gefertigten amerikanischen Kampfbombern und Sturmtruppen aufgebaut. Den Hintergrund bildete ein schwarzes Tuch, auf das ein Künstler Sterne und Kometen sowie eine Ansicht des Malecon mit aus Cabriolets schießenden Fahrern geklebt hatte. Die Geräuschkulisse kam von einer Kassette mit Maschinengewehrgeknatter. Die Schwestern schoben Arkadi zu einem freien Platz am Tresen.
    »Er müßte sich wie zu Hause fühlen«, sagte Ofelias Mutter.
    Marisol drückte ihm das Gewehr in die Hand.
    »Du mußt es erst laden«, sagte Ofelia, als sie zahlte.
    »Zuerst die Flugzeuge, zuerst die Flugzeuge!« rief Marisol.
    Es war ein Spielzeuggewehr mit einem wulstigen Visier. Er schoß auf ein besonders gefährlich aussehendes Flugzeug, und der Fallschirmjäger daneben hüpfte.
    »Worauf zielst du denn?« fragte Ofelia.
    »Ich ziele auf alles.«
    Das falsche Ziel war noch das beste, was er schaffte. Die Kinder um ihn herum ließen

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