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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Flugzeuge rotieren und tanzen, aber trotz all der glänzenden Invasoren gingen all seine anderen Schüsse mit einem schändlichen Floppen ins Nichts.
    »Er muß ein ziemlich hochrangiger Polizist sein«, meinte Ofelias Mutter. »Ich glaube nicht, daß er in seinem Leben schon mal auf irgendwas geschossen hat.«
    Die Mädchen drückten Ofelia ein Gewehr in die Hand. Sie lud zweimal kurz durch und zielte auf einen großen Tropicolabomber.
    »Ich glaube, das Visier ist nicht ganz gerade«, meinte Arkadi.
    Man hörte die Kugel auf Blech prallen, und der Bomber rotierte.
    »Nein, Mama«, quengelte Marisol. »In die Mitte.«
    Ofelia schob ihre Sonnenbrille auf die Stirn und drückte den Schaft des Gewehrs fester gegen die Wange, bevor sie in gleichmäßigerem Rhythmus lud und schoß. Silbrige Flugzeuge pendelten, Fallschirmjäger sangen und tanzten. Die Brille rutschte vor ihre Augen, aber das war egal, mittlerweile rotierte die Hälfte aller Ziele. Arkadi dachte an das Flugzeug, das ihn vor nicht einmal einer Woche hergebracht hatte, und es erschien ihm wie eine Ewigkeit. Hier befand er sich auf offener Straße, während Luna ihn suchte, doch welch bessere Tarnung konnte es geben als eine kubanische Familie? Was konnte seltsamer und gleichzeitig natürlicher sein? Mit zwölf Treffern bei zwölf Schüssen hatte Ofelia eine Dose Feuerzeugbenzin gewonnen, die ihre Mutter sofort in einer Netztasche verschwinden ließ. »Alles zählt«, meinte sie. Besänftigt ließen sich die Mädchen von Ofelia küssen und von ihrer Großmutter an die Hand nehmen. Vorher kramte sie noch einen Kulturbeutel aus Plastik und etwas aus ihrer Tasche, das in fettiges Zeitungspapier eingewickelt war.
    »Bananenbrot aus Muriels Bananen. Du erinnerst dich an die Bananen?«
    »Ich kann dieses Brot nicht annehmen.«
    Muriel und Marisol machten große Augen.
    »Okay, okay. Vielen Dank, Mädchen.«
    Es gab eine Runde von Abschiedsküssen.
    »Fütter ihn damit«, riet ihre Mutter. »Und paß gut auf ihn auf.«
     
    23
     
    Arkadi erinnerte sich, daß das Hotel Sierra Maestra im fünften Stock eine Galerie besaß, die mit Fahrrädern zugeparkt war. Er erinnerte sich auch an Mostowois Apartment mit den Filmplakaten, den afrikanischen Kunstwerken, dem weichen langflorigen Teppich, dem Ledersofa und dem Balkon mit Meerblick. Er wußte auch noch, daß die Eingangstür mit einem Schloß und einem Riegel gesichert war, in Anbetracht der Kameras und der Ausrüstung eine durchaus vernünftige Vorsichtsmaßnahme. Und für den Fall, daß Arkadi je daran gedacht haben sollte, sich athletisch mit einem Seil vom Dach des Hotels auf Mostowois Meerblickbalkon zu schwingen, war die Glasschiebetür ebenfalls mit einem Stahlriegel gesichert, wie ihm in Rufos Video »Sucre Noir« aufgefallen war. Die neuen Sondereinsatzkommandos wußten alles darüber, wie man sich durch Glastüren schwang; Arkadi wußte es nicht. Außerdem ging es nicht nur darum, in das Apartment einzudringen, sondern auch darum, Mostowoi herauszulocken, damit Arkadi einen weiteren Blick auf die Fotos an der Wand werfen konnte.
    Mostowoi hatte durchaus recht, wenn er das Hotel das »Zentraleuropa« nannte. Cafe und Boutique des Sierra Maestra waren russisch, die Graffiti auf der Faherstuhltür polnisch und die gesamte Lobby menschenleer. Selbst der Geruch nach ranzigem Öl aus der Popcornmaschine am Fuß der Treppe konnte den abgestandenen Kohlgeschmack nicht überdecken.
    Als Arkadi das letztemal bei Mostowoi war, hatte der das Safaribild gegen das Foto eines Segelboots ausgetauscht. Vielleicht hat er das Rhinozeros seit den Dreharbeiten zu »Sucre Noir« auch verschenkt, oder er war es leid gewesen, das immer gleiche tote Tier an seiner Wand zu betrachten. Doch das Safaribild hatte ausgesehen wie der exotische Mittelpunkt seiner privaten Galerie, und Arkadi wollte selbst einen Blick darauf werfen, bevor Mostowoi Gelegenheit hatte, seine Bilder erneut umzuhängen. Sein Plan sah also vor, Mostowoi in großer Eile aus seinem Apartment zu locken. Arkadi war weder ein Scharfschütze, noch verfügte er über die Schlagkraft eines Sondereinsatzkommandos, doch er hatte im Lauf seines Lebens die wertvolle Erkenntnis gewonnen, daß sich fast überall etwas fand, womit sich ein Chaos anrichten ließ. Hinter einer Tür mit der Aufschrift »Entrada Prohibida« lagen schmutzige Vorhänge auf einem dreibeinigen, mit schwarzem Kunstleder bezogenen Stuhl, der zwischen Plastiktüten voll Mais und Kartoffelchips und

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