Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
revolutionären Genossen sein neues Minensuchgerät.« Bis zu den Knien waren die Beine des Rhinozeros ein einziger Brei. Arkadi dachte an die qualvollen Schmerzen, die Panik und die Verwirrung des Tieres, als es auf das Minenfeld gestolpert war, und an die Gefühllosigkeit, die Männer entwickeln, wenn sie um ihr Überleben kämpfen. Tico und Mostowoi rahmten die kleine Gruppe ein. Neben Ticos Knie lag der abgeflachte Kessel einer Tretmine, neben Mostowoi das nach außen gewölbte Rechteck einer Claymore, einer Antipersonenmine mit der englischen Warnung »This Side to Enemy«. Es war ein gutes Foto, wenn man bedachte, daß Mostowoi wahrscheinlich den Selbstauslöser betätigt und dann an seinen Platz geeilt war, auch in Anbetracht des besonderen afrikanischen Lichts und der Tatsache, daß die Minen wahrscheinlich noch überall herumlagen. Arkadi konnte beinahe die Fliegen hören.
    Er sah sich in der übrigen Wohnung um, bevor Mostowoi zurückkehrte. Im Flur hingen handsignierte Fotos von Mostowoi zusammen mit berühmten russischen Regisseuren sowie eine offenbar in seinem Bett aufgenommene, erotische Boudoirserie von kubanischen Mädchen, die Arkadi bei seinem ersten Besuch gar nicht aufgefallen war. Er sah im Sekretär, auf dem Nachttisch und unter dem Kopfkissen nach. Auf einem Beistelltisch standen ein Laptop, ein Scanner und ein Drucker. Der Laptop verweigerte ihm gleich nach dem Einschalten den Zugang, und die Chance, Mostowois Paßwort zu finden, war verschwindend gering. Weder in der Schublade noch unter dem Bett lag eine Pistole. Arkadi ging weiter den Flug entlang in ein kleines Zimmer, das mit einem schwarzen Vorhang hinter der Tür zu einer Dunkelkammer umgewandelt worden war. Rotes Licht brannte, als wäre Mostowoi beim Entwickeln gestört worden. Arkadi zwängte sich zwischen einem Vergrößerer und Wannen mit säuerlich riechendem Fixierbad und Entwickler hindurch. Roter Film hing an einer Wäscheleine. Arkadi hielt ihn ins Licht, doch es waren nur Aufnahmen vom Freikörper-Volleyball. Die bereits entwickelten und an eine Pinnwand gehefteten Bilder waren Botschaftsaufträge: Russen, die ein Zuckerkombinat besuchten, Postkarten von den Kindern Moskaus überbrachten oder mit Wodkagläsern kubanischen Redakteuren zuprosteten. Die Russen sahen tatsächlich aus wie bolos. Wieder im Flur, mußte Arkadi sich an weiteren Fotoschränken vorbeidrücken. Er blätterte durch Kontaktbogen von Urlauben in Italien und der Provence. Keine Nackten, kein Afrika. In der Küche öffnete er den Kühlschrank und entdeckte eine Vichysoisse, eine offene Dose Oliven, chilenischen Wein, Farbfilmdöschen und hinter einer Tüte mit Eiern eine Neun-Millimeter-Astra, eine spanische Pistole mit einem röhrenförmigen Lauf. Er entleerte das Magazin neben dem Waschbecken, setzte erneut den Clip ein, wischte die Waffe ab und legte sie wieder hinter die Eier. Im Waschbecken lag ein leerer Eiswürfelbehälter. Arkadi füllte die Fächer mit Kugeln und Wasser und legte den Behälter ins Gefrierfach, bevor er sich ins Wohnzimmer setzte und auf Mostowois Rückkehr wartete. Er hatte das Gefühl, daß die Zeit ablief, zumindest nach Rufos Kalender, das heißt nach der Dringlichkeit, mit der jener versucht hatte, einen Mann zu töten, der nur eine Woche in der Stadt bleiben wollte. Seine eigene Zeit lief in jedem Fall ab. Morgen abend würden sie den Heimflug antreten, er und Pribluda, doch er hatte das Gefühl, daß das Ereignis noch bevorstand, das dem Havana Yacht Club, Rufo, Hedy und dem besten Sprengstofftrupp in Afrika einen Sinn geben würde.
     
    Ofelia nahm niemanden mit. Sie achtete sorgfältig darauf, sich ihre neuen Schuhe nicht schmutzig zu machen, als sie die Treppe zum Centro Russo-Cubano hinaufstieg, und steckte ihre Sonnenbrille in die Tasche mit dem Bananenbrot, als sie die Lobby betrat, die sich seit dem Vortag verändert hatte: Die Statuen der Zuckerrohrschnitterin und des Fischers waren kopfüber auf die Fliesen gestürzt, die Leiter spannte sich über einen zersplitterten Empfangstresen, und in der Halle stand auch kein Auto mehr. Staub kletterte an dem Lichtstrahl empor, der durch das farbige Glas über ihr hereinfiel. Centro Russo-Cubano? Nach allem, was sie über den Ort wußte, waren Kubaner zu Zeiten, als sich die Russen noch für Wegbereiter der glorreichen Zukunft hielten, nur in Ausnahmefällen zugelassen gewesen.
    Ofelia atmete tief ein. Sie wollte sehen, was Luna am Abend zuvor hergekarrt hatte, weil sie

Weitere Kostenlose Bücher