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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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getrocknetem Blut. Sie ließ die Tür offen, damit Licht in den Flur fiel, und folgte einem Schild, das den Weg zum »Büffet« wies. Sie blickte in eine Speisekammer, die leer war bis auf eine Liste an der Wand, die auf russisch Fleisch, Milchprodukte und Wäschestärke verzeichnete, die vor sechs Jahren erwartet worden waren. Eine gewisse Lena wurde schriftlich angewiesen, »keine kubanischen, sondern russische Kartoffeln« zu verwenden. Historische Dokumente, die verblaßten, als die Tür zur Wäschekammer zufiel. Als sie den Flur wieder betrat, kam sie sich vor, als würde sie in einen Abgrund hinabsteigen. Hinter ihr war nichts als Schwarz, und vor sich sah sie nur den blassen Lichtschein, der die Umrisse der Buffettür markierte. Sie konnte die Schritte hinter sich ebensogut spüren wie hören, so nah waren sie inzwischen. Ihr Vater hatte auf den Zuckerrohrfeldern gearbeitet, sie wußte, wie die Schnitter vorgingen. Erst ein Hieb knapp über dem Boden, dann ein zweiter, um den Kopf abzuschlagen. Arkadi hatte gesagt, daß Luna Rechtshänder war, was bedeutete, daß er, beengt durch den Flur, seinen Hieb von rechts oben nach links unten führen würde. Sie machte sich auf der rechten Seite des Korridors so klein wie möglich.
    Sie spürte einen fremden Atem. Ein haariges Gesicht berührte das ihre, und als sie die Hand ausstreckte, ertastete sie zwei kurze Hörner. Eine Ziege! Die Ziegen hatte sie ganz vergessen. Die anderen waren verschwunden oder hatten keinen Weg ins Erdgeschoß gefunden. Eine kleine Ziege mit einem kratzigen Bart, spitzen Rippen und einem neugierigen Maul, das sie in Ofelias Tasche steckte. Das Bananenbrot natürlich, dachte Ofelia. Sie legte die Waffe zwischen ihre Füße auf den Boden, wickelte das Brot aus und teilte es in zwei Hälften. Sie konnte die Ziege nicht sehen, doch hören, wie sie das Brot verschlang, als hätte sie tagelang nichts zu fressen bekommen. Der Geruch des Brots mußte eine unwiderstehliche Spur durch das Gebäude gezogen haben. Sie war froh, daß ihr Russe das nicht gesehen hatte. Als die Ziege versuchte, auch noch das restliche Brot zu ergattern, gab Ofelia ihr einen nicht unfreundlichen Tritt und kratzte sie zum Trost an ihrem dürren Hals. Sie war schließlich in Hershey aufgewachsen und hatte gelernt, mit Ziegen, Hühnern und gefräßigen Schweinen umzugehen.
    Entmutigt wich die Ziege mit einem zittrigen Meckern zurück. Ofelia hatte erwartet, daß sie auf dem Weg, auf dem sie gekommen war, zu ihrer Herde zurückkehren würde, doch irgend etwas schien sie in eine andere Richtung zu ziehen. Sie konnte die Ziege nicht sehen, doch sie hörte, wie sich ihre Hufe der Tür des Speisesaals näherten, angezogen von längst verwehten Essensgerüchen. Es war eine Schwingtür, und die Ziege stieß sie mit der Nase auf. Das kurz aufflackernde, schwache Licht lockte sie weiter, und sie trottete gemächlich über die Schwelle. Die Tür schwang zweimal hin und her und ging dann in Rauch und Flammen auf.
    Obwohl sie im Augenblick der Detonation geschützt war, dröhnten Ofelias Ohren, und ihr Gesicht fühlte sich versengt an. Kurzfristig blind und taub schwenkte sie ihre Pistole hin und her, bis sich der Zementstaub so weit gesetzt hatte, daß sie das schwache Licht an den Rändern der Tür wieder erkennen konnte. Sie kroch vorwärts, ertastete eine Schnur, die schlaff von der Tür herabhing. Sie stieß sie auf.
    Es war nur eine Splittergranate gewesen, dachte Ofelia, doch in der unmittelbaren Umgebung hatte sie ihre Mission gründlich erfüllt. Eine Hälfte der Ziege lag neben der Tür, die andere auf der anderen Seite des Flurs wie ein Fehlschuß aus einer Kanone. Eine Wand war mit Einschlagnarben von Metallsplittern übersät. Brandspuren auf der anderen Seite zeigten an, wo die Granate in Fußbodenhöhe montiert gewesen und durch die Schnur an ihrem Ring ausgelöst worden war. Weiche Klumpen tropften von der Decke.
    Der Flur mündete in einen Speisesaal, in dem russischen Kapitänen zur See und ihren Offizieren dereinst Cognac und Kuchen serviert worden waren. Dahinter konnte Ofelia eine große Küche mit einem Dunstabzug erkennen, den irgend jemand von außen aufzubrechen versucht hatte. Die untere Lüftungsklappe war ein wenig verbogen, so daß ein fingerbreiter Lichtstrahl in das dämmrige Halbdunkel fiel.
    Ofelia wartete darauf, daß sich ihre Nerven beruhigten, um weiterzugehen. Es konnte sich nur um Sekunden handeln.
     
    Arkadi versäumte die Verabredung mit Ofelia im

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