Nacht in Havanna
Park. Er saß mit Blick auf die Tür in Mostowois Wohnzimmer und blätterte durch ein Adreßbuch, das er auf dem Nachttisch gefunden hatte. Pinero, Rufo, Luna, Sgt. Facundo. Guzman, Erasmo. Walls. Einen Tico konnte Arkadi nicht finden, aber ansonsten war der Trupp vollständig versammelt. Dazu Vizekonsul Bugai, Hotels und Kfz-Werkstätten in Havanna, französische Filmlabors und zahllose Mädchennamen mit Bemerkungen über Alter, Hautfarbe und Größe.
Acht Uhr. Mostowoi ließ sich reichlich Zeit mit seiner Rückkehr. Der Alarm war lange vorbei, die Feuerwehr abgerückt, die Bewohner befanden sich wieder in ihren Apartments. Arkadi hatte sich vorgestellt, daß Mostowoi seine Wohnung betreten, überrascht sein und beim Anblick des Eindringlings Empörung vortäuschen würde. Arkadi würde ihm Fragen über Luna und Walls stellen, und zwar auf eine Weise, die Mostowoi veranlassen sollte, zu der Pistole im Kühlschrank zu greifen. Nach Arkadis Erfahrung wurden erregte Menschen sehr viel redseliger, wenn sie das Gefühl hatten, das Blatt zu ihren Gunsten gewendet zu haben. Und wenn Mostowoi tatsächlich den Abzug drückte, war das auch eine Information. Allerdings hing dieses Szenario davon ab, daß Mostowoi in einer seiner Kamerataschen nicht noch eine Waffe aufbewahrte.
Arkadi mußte nur die Augen schließen, um die Bilder vor sich zu sehen. Pribludas Havana Yacht Club. Olga Petrownas Pribluda und Pribludas Abschiedsfoto von ihm selbst. Der beste Sprengstofftrupp in Afrika. Die Bilder, die wir mit uns herumtragen. Angehörige primitiver Stämme, die zum erstenmal Fotografien sahen, glaubten, es wären gestohlene Geister. Arkadi wünschte, das wäre wahr. Er wünschte, er hätte mehr Fotos von Irina gemacht, doch er sah ihr Bild ohnehin ständig vor sich, wenn er allein war. Und in Havanna zu sein, war, als ob man in einem vergilbten, schlecht kolorierten Foto gelandet wäre.
Neun Uhr. Der Tag war vergangen, während er auf einen Mann wartete, der nicht zurückkam. Arkadi legte das Adreßbuch vorsichtig an die Stelle, wo er es gefunden hatte, die Fotos in ihre Kästen und schlich wieder auf die Galerie, wo sich Knirpse, die längst im Bett sein sollten, Fahrradrennen lieferten. Auf der anderen Seite von Miramar starrten die Lichter der russischen Botschaft herüber. Er nahm den Fahrstuhl nach unten. Der Popcornautomat war verschwunden, und die untersten Stufen waren verkohlt, ansonsten schien nichts mehr an seine Anwesenheit zu erinnern. Er folgte der Avenida Primera bis zum Wasser und setzte - so kam es ihm vor - wie ein Segelschiff, das bei Windstille von Ruderbooten in den Hafen geschleppt wird, einen Fuß vor den anderen. Erst als er am Haus von Erasmos Familie vorbeikam, wurde ihm bewußt, daß seine Beine ihn zu seiner Verabredung mit Ofelia beim Havana Yacht Club trugen. »Vi. HYC 2200 Angola.« Heute war der Abend.
Oder vielleicht auch nicht. Er war spät dran, als die Königspalmen an der Auffahrt des Yacht-Clubs in Sicht kamen, Ofelias DeSoto war nirgends zu sehen. Der Club war dunkel, lediglich zwei Männer mit Taschenlampen patrouillierten auf der langen Einfahrt. Man hörte nur die Autos in dem Kreisverkehr und das Singen eines Vogels, der in einer der Palmen hockte. Soviel zu seiner brillanten Idee, seiner Hoffnung, den Geschehnissen zuvorzukommen. Was immer das Ereignis sein mochte, es fand an einem anderen Freitag statt. Er suchte die Zufahrtsstraßen des Kreisverkehrs nach Ofelia ab. Obwohl ihm eine halbe Stunde Verspätung in Kuba nicht besonders viel erschien, war sie nicht mehr da.
Ein Taxi hielt, und Arkadi ließ sich auf den Sitz neben den Fahrer fallen, einem alten Mann mit einer kalten Zigarre.
»Adonde?«
Gute Frage, dachte Arkadi. Er war an allen Orten gewesen, die ihm einfielen. Zurück zu Mostowois Wohnung? Oder an die Playas del Este zu Ofelia? Da war es wieder. Genauso hatte er Irina verloren, dachte er. Unaufmerksamkeit. Wie sonst konnte ein Mann es schaffen, nicht bloß eine, sondern gleich zwei Verabredungen zu verpassen? »Ich suche jemanden«, sagte er auf englisch.
»Vielleicht können wir einfach ein bißchen rumfahren.«
»Adonde?«
»Wenn wir einfach ein bißchen rumfahren könnten, um den YachtClub.«
Der alte Mann nahm die Zigarre aus dem Mund und hauchte das Wort aus, als wären es Rauchkringel. »Wohin?«
»Gibt es hier irgendwo in der Nähe irgendwas mit Angola?«
» Angola? Quieres Angola?«
» Ich will nicht zur angolanischen Botschaft.«
» No, no. Entiendo
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