Nacht in Havanna
Buch umgefallen war, nicht einmal Fidel y Arte, ein schweres Vorzeigewerk mit kostbaren Drucken. Weder war ein Stuhl zerbrochen, noch hatte Renko einen Kratzer abbekommen, als ob die Konfrontation blitzschnell vorüber gewesen wäre.
»Ihr Freund ist ein Spion, und Sie sind ein Mörder«, herrschte Luna Renko an. »Das ist unerträglich!«
Ohne es herauszuziehen, begutachtete Ofelia das Messer in dem Schrank. Es war ein in Brasilien hergestelltes Schnappmesser mit einem Griff aus Elfenbein, der unten versilbert war, die zweischneidige Klinge rasiermesserscharf.
»Ich habe der Botschaft erklärt, daß Renko wie jeder andere Besucher behandelt wird«, sagte Arcos. »Das heißt, er genießt keinerlei diplomatische Immunität. Dieses Apartment ist wie jedes andere kubanische Apartment und steht nicht unter dem Schutz einer ausländischen Macht. Dies ist eine kubanische Angelegenheit, in der ganz allein wir entscheiden.«
»Gut«, sagte Renko. »Es war auch ein Kubaner, der versucht hat, mich umzubringen.«
»Nun werden Sie bloß nicht spitzfindig. Da die Tatsachen in diesem Fall äußerst nebulös, Sie jedoch lebendig und unverletzt sind, sollten Sie sich glücklich schätzen, wenn Sie Havanna verlassen dürfen.«
»Sie meinen, lebendig verlassen. Nun, den Flug heute nacht habe ich wohl verpaßt.«
»Nächste Woche geht wieder einer. Bis dahin werden wir unsere Ermittlung fortsetzen.«
»Würden Sie das für eine Ermittlung halten?« fragte der Russe Ofelia.
Sie zögerte. Weil sie im Revers seines schwarzen Mantels einen Riß entdeckt hatte, der kein Knopfloch sein konnte. Ihr Zögern erzürnte Arcos.
»Dies ist meine Ermittlung, und ich führe sie so, wie ich es für richtig halte, wobei es etliche Faktoren zu berücksichtigen gilt, wie zum Beispiel, ob Sie Rufo überrascht, ihn mit der Nadel niedergestochen und Sie ihm, nachdem Sie seinen Tod festgestellt hatten, in die Hand gedrückt haben. Möglicherweise können wir Ihre Fingerabdrücke noch nachweisen.«
»Meinen Sie?«
»Die Leichenstarre hat noch nicht eingesetzt. Wir werden sehen.«
Bevor Ofelia ihn aufhalten konnte, kniete der Capitán sich neben die Leiche und versuchte, Rufos Finger von der Spritze zu lösen. Doch Rufo hielt fest, wie es Tote bisweilen tun. Luna schüttelte lächelnd den Kopf.
»Informieren Sie den Capitán, daß es sich nicht um die Leichenstarre, sondern um einen Todeskrampf handelt«, erklärte Renko Ofelia, »aber jetzt werden wir warten müssen, bis die Leichenstarre eingesetzt und wieder nachgelassen hat. Obwohl das natürlich davon abhängt, wie gern der Capitán mit Rufo ringen will.« Woraufhin Arcos nur noch heftiger zerrte.
Aus Mangel an einer besseren Unterkunft brachten sie Renko zurück in Pribludas Wohnung am Malecon. Er hatte kein Geld für ein Hotel, das Apartment der Botschaft war jetzt ein Tatort, und bis er Pribluda offiziell identifiziert hatte, würde er lediglich in der Wohnung eines vermißten Freundes wohnen.
Eine Minute standen Renko und sie auf dem Balkon und verfolgten den Weg eines einzelnen Wagens auf dem Boulevard und das Plätschern der Wellen gegen die Mole. Auf dem Wasser schimmerten die Lichter von Fischerbooten und neumäticos. »Sind Sie schon einmal auf dem Ozean gewesen?« fragte Ofelia. »Auf dem Beringmeer, aber das ist nicht das gleiche.«
»Sie müssen kein Mitleid mit mir haben«, sagte sie unvermittelt. »Der Capitán weiß, was er tut.«
Was selbst in ihren eigenen Ohren hohl klang, doch Renko gab nach: »Sie haben recht.« Er war in seinen schwarzen Mantel gehüllt wie ein Schiffbrüchiger mit dem einzigen, was er gerettet hatte. Sie empfand eine Art verschwörerische Vertraulichkeit mit ihm, weil keiner von ihnen Arcos und Luna gegenüber den vorherigen Besuch in Pribludas Wohnung erwähnt hatte. »Der Capitán ermittelt normalerweise nicht in Mordfällen, oder?«
»Nein.«
»Ich erinnere mich an eine Wochenschau über Castros erste Reise nach Rußland. Er war ein strahlender Revolutionär, der in Barett und Armeekluft auf Bärenjagd ging, während das Politbüro des Kreml hinter ihm hertapste wie ein Haufen fetter, alter, verliebter Matronen. Es war eine Romanze, die ewig dauern sollte. Schwer vorstellbar, daß jetzt die Russen in Havanna gejagt werden.«
»Ich denke, Sie sind ein wenig verwirrt. Ihr Freund ist gestorben, und nun dieser Angriff auf Sie. Das könnte Ihnen ein ziemlich verzerrtes Bild vom Leben in Kuba vermitteln.«
»Das könnte es wohl.«
»Und sehr
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