Nacht in Havanna
Eimer für deine persönlichen Bedürfnisse in einem Zimmer der Botschaft zu verschanzen und die Tür nicht zu öffnen, bis du zum Flughafen fährst.«
»Wäre es nicht ein bißchen pervers, eine Woche in Havanna zu verbringen und sich die ganze Zeit in einem Zimmer zu verstekken?« setzte Arkadi den Dialog in Gedanken fort. »Nein. Rufo zu töten, obwohl du dich selbst umbringen wolltest, das ist pervers.«
Arkadi ging durch den Flur ins Büro und kehrte mit einem Stadtplan zurück, den er im Licht einer Lampe ausbreitete. »Du gehst schon?« Pribluda war immer bestürzt, wenn Arkadi aufgab, bevor die Flasche geleert war.
Arkadi suchte nach einer Straße namens Esperanza. »Ich werde nicht einfach dasitzen und warten«, dachte er. »Deinen Wagenschlüssel habe ich auch. Wenn du mir helfen willst, sag mir, wo der Wagen steht. Oder verrate mir dein Paßwort.«
Pribludas Gesicht verschwand beleidigt. Arkadi hingegen war hellwach.
Mitten in der Nacht in einer fremden Stadt auf die Straße zu gehen, war wie ein Sprung in ein dunkles Becken, von dem man nicht wußte, wie tief es war. Eine Kolonnade erstreckte sich an den Häusern entlang bis zur nächsten Straßenecke, so daß es erst dort in das blasse Gaslicht einer Laterne trat. Er folgte dem Boulevard, weil dessen weiter Bogen am Meer entlang die Orientierung erleichterte.
Obwohl er angestrengt auf Motorengeräusche oder Schritte horchte, hörte er nur sein eigenes Echo und das Rauschen des Meeres auf der anderen Seite der leeren Straße. Unterwegs kam er an einem dreistöckigen Gebäude vorbei, dessen Seitenfront mit einem Wandgemälde von Castro geschmückt war. Die Gestalt kam ihm vor wie ein durch die Stadt wandelnder Riese, dessen Kopf im Dunkel über der Straße verborgen blieb. Er trug die typische Militärkluft und schien energisch voranzuschreiten, die rechte Hand zum Gruß an ein unsichtbares Gegenüber erhoben, das ein A Sus Ordenes, Commandante! gelobte. Arkadi dachte, daß der Commandante und er ein seltsames Paar von Nachtwandlern abgaben, ein Russe auf Schleichpfaden und ein schlafloser Riese auf Patrouille.
Sechs Ecken weiter stand ein Taxi vor einer dunklen Hotelfassade, der Fahrer hatte den Kopf auf das Lenkrad gelegt. Arkadi rüttelte den Mann wach und hielt, als der mit einem Auge blinzelte, den Zettel mit Rufos Adresse und einen Fünfdollarschein hoch. Arkadi richtete sich auf dem Beifahrersitz kerzengerade auf, als das Taxi wie eine Fledermaus durch das wegen des Stromausfalls stockdunkle Havanna schoß, während der Fahrer den ganzen Weg über gähnte, als ob sich das Aufwachen erst für eine Kollision wirklich lohnen würde. Nur wenn Müllhaufen im Scheinwerferlicht auftauchten, bremste er ab. Rufos Adresse war auf die Fassade eines flachen, fensterlosen Hauses in einer engen Straße geschrieben. Das Taxi tuckerte davon, während Arkadi im Licht von Rufos Feuerzeug den richtigen Schlüssel fand; als er dem Toten vor Benachrichtigung der PNR den Hausschlüssel abgenommen hatte, war Arkadi aufgefallen, daß dieser fast genauso aussah wie sein eigener Haustürschlüssel, ein russisches Design mit einem eingeprägten Stern, zweifelsohne das Andenken an sozialistischen Handel und Wandel. Er dachte, daß Kommissarin Osorio ziemlich frustriert und verärgert gewesen sein mußte, wenn sie versucht hatte, die Wohnung mit dem Schlüssel zu betreten, den er bei Rufo hinterlassen hatte.
Die Tür führte in ein kleines Zimmer, das bei Arkadi sofort leichte klaustrophobische Beklemmungen auslöste. Das brennende Feuerzeug in der Hand, ging er zwischen einer ungemachten Liege, einem flachen Tisch mit einem von einer Nacktfigur verzierten Keramikaschenbecher und einem Turm aus Fernseher, Stereoanlage, Tape-Deck und Videorecorder hindurch. An der Wand stand eine Minibar, die aussah, als wäre sie aus einer Hotelsuite gerissen worden. Auf einem Waschtisch reihten sich Minoxodil, Vitamine und Aspirin. Ein alter großer Kleiderschrank enthielt neben Kleidung Kartons mit Joggingschuhen von Nike und New Balance, Zigarrenkisten, eine Sammlung von Videokassetten und Kopien von Windows 95: ein komplett ausgestattetes Warenlager. Er öffnete eine Tür und warf einen Blick in eine schmutzige Toilette, bevor er sich wieder dem Zimmer zuwandte, um sich systematischer umzusehen. An der Wand hingen Zeitungsausschnitte mit Schlagzeilen wie Gran Exito de Equipo Cubano und über einem Foto eines jungen, strahlenden Weltmeisters mit erhobenen Boxhandschuhen die Zeile
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