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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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aufwühlend sein.«
    »Auf jeden Fall sehr ablenkend.« Sie wußte nicht, was er damit meinte. »Und es gab keine anderen Zeugen?«
    »Nein.«
    »Sie haben die Tür geöffnet, und Rufo hat Sie ohne jede Vorwarnung angegriffen. »Genau.«
    »Mit zwei Waffen?«
    »Ja.«
    »Das klingt wenig plausibel.«
    »Das liegt daran, daß Sie eine gute Ermittlerin sind. Aber wissen Sie, was ich herausgefunden habe?«
    »Was denn?«
    »Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß - bei Abwesenheit anderer Zeugen - eine einfache, aber beharrlich durchgehaltene Lüge wundervoll schwer zu knacken ist.«
     
    4
     
    Sobald Arkadi in Pribludas Wohnung allein war, ging er ins Büro und schaltete den Computer ein, der unverzüglich das Paßwort verlangte. Ein Zugangscode, der bis zu zwölf Buchstaben und Zahlen kombinierte, war praktisch nicht zu knacken, doch auch an einen Code mußte man sich erinnern, weshalb die Menschen nach Arkadis Erfahrung dazu neigten, ihre Geburtstage oder Adressen zu verwenden. Arkadi probierte den Namen der Frau, des Sohnes und des Schutzheiligen des Oberst (denn obwohl Pribluda Atheist war, hatte er sich an seinem Namenstag stets eine Flasche genehmigt), seine Lieblingsschriftsteller (Scholochow und Gorki) und seine Lieblingsmannschaften (Dinamo und ZSKA). Arkadi gab 06111968 ein, das Datum von Pribludas Parteieintritt, die chemische Formel C12H22011 für Zucker, ein heimwehkrankes 55-4537-37 für die Koordination (Breiten- und Längengrad in Minuten und Sekunden) von Moskau. Er versuchte geschriebene und in Zahlen transportierte Wörter (obwohl die korrekte Reihenfolge des russischen Alphabets Gegenstand einer Kontroverse war, die sich bis ins einundzwanzigste Jahrhundert erstrecken würde). Der Ventilator des Computers stockte kurz, um dann ruhig weiterzusurren. Er versuchte es, bis er das Flimmern des Bildschirms schließlich gegen die Dunkelheit des Balkons eintauschte, wo er Trost fand in dem regelmäßigen Schwenk des Leuchtfeuers und der Schlaflosigkeit der Nacht.
    Arkadi entdeckte, daß er kalkulierte wie ein Mörder, der sich sagte, daß die Wahrheit auch nicht glaubwürdiger klang als seine zugegebenermaßen unplausible Geschichte. Er war auch ein wenig erstaunt über seine eigene Reaktion auf den Angriff. Er hatte sich instinktiv verteidigt, so wie ein Mann, der gerade ins Wasser springen will, sich dagegen wehrt, hineingestoßen zu werden. Er hatte keine Ahnung, warum er angegriffen worden war, er wußte nur, daß es etwas mit seinem Freund Pribluda zu tun haben mußte. Nicht daß Pribluda ein Freund im gewöhnlichen Sinn des Wortes gewesen wäre. Sie hatten unterschiedliche Vorlieben, Interessen und politische Ansichten. Offen gestanden, war Pribluda in vielerlei Hinsicht im Grunde ein schrecklicher Mensch. Arkadi konnte sich vorstellen, wie er jetzt den Wodka auspacken und sagen würde: »Arkadi, alter Kumpel, du bist am Arsch. Du bist in einem verrückten Land, von dem du gar nichts weißt und nicht einmal die Sprache verstehst.« Pribluda würde sich vorbeugen, mit ihm anstoßen und sein sonderbares Grinsen aufsetzen. Er hatte die Angewohnheit, bei jedem Glas einen Knopf zu öffnen und Kragen oder Manschetten zu lösen, als ob Trinken harte Arbeit wäre. »Sicher weißt du nur, daß du nichts weißt. Niemand wird dir wegen deiner braunen Augen helfen. Jeder, der vorgibt, ein Freund zu sein, ist ein Feind. Jeder, der dir seine Hilfe anbietet, verbirgt ein Messer hinter seinem Rücken. Prost!« Der Oberst würde mit ausladender Geste den Verschluß der Wodkaflasche ins Meer werfen. Das entsprach seiner Vorstellung von Grandezza. »Magst du Logik?«
    »Ich liebe Logik«, würde Arkadi vielleicht antworten.
    »Das ist Logik: Rufo hatte keinen Grund, dich zu töten. Rufo hat aber versucht, dich zu töten. Also hat jemand Rufo geschickt. Also wird dieser Jemand einen anderen schicken.«
    »Ein netter Gedanke. War das ein Geschenk für zu Hause?« Arkadi würde mit dem Kopf auf die lebensgroße Puppe weisen, die in der Ecke vor sich hin brütete. Die Art, wie ihr Schatten sich bewegte, wenn die Brise vom Meer die Lampe erfaßte, war ein wenig irritierend. »Charmant.« Aus seiner Manteltasche fischte er den Zettel, auf den er Rufos Adresse geschrieben hatte, sowie den Schlüssel, den er der Leiche abgenommen hatte, bevor Luna eingetroffen war.
    »Was du meiner Meinung nach tun solltest«, würde Pribluda ihm weiter zusetzen, »ist, dich mit einer Pistole, Apfelsinen, Brot und Wasser und vielleicht einem

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