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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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zu zweit spielen. Es war ein Skandal, daß die Mutter einer Kommissarin der PNR den Tag damit verbrachte, für alle anderen Bewohner des solar Botengänge zu machen, für die einen Zigaretten holte und für jemand anderen um ein Paar Schuhe anstand. »Wer nicht rege ist, verhungert«, pflegte die alte Frau auf ihre Einwände zu erwidern. »Bei deinem enormen Gehalt und den Familienrationen würden deine Töchter nur an zwei von drei Tagen etwas zu essen bekommen. Du kennst doch den Witz: >Was sind die drei großen Errungenschaften der Revolution? Gesundheit, Bildung und Sport. Und was sind ihre drei großen Mängel? Das Frühstück, das Mittagessen und das Abendessen.< Man sagt, Fidel würde diesen Witz gern erzählen. Warum wohl?« Ofelia widersprach ihr nur bis zu einem gewissen Grad, weil ihre Mutter recht hatte. Außerdem gab es so viele andere Dinge, über die sie mit ihrer Mutter streiten mußte. In der vergangenen Woche war Ofelia nach Hause gekommen, um festzustellen, daß das Porträt von Che durch ein aus einer Zeitung herausgerissenes Bild von Celia Cruz ersetzt worden war. Wer konnte den größten Märtyrer des zwanzigsten Jahrhunderts gegen eine fette alte Verräterin aus Florida austauschen? Ihre Mutter, und zwar ohne mit der Wimper zu zucken.
    Ofelia wickelte den Gürtel um ihr Pistolenhalfter, zog ihre Uniform aus und hing sie ordentlich über einen Bügel. Als Kommissarin hatte sie die Wahl, in Zivil zur Arbeit zu gehen, doch sie genoß die Sicherheit, die ihr die blaue Hose, das graue Hemd mit dem PNR-Emblem auf der Brusttasche und die Schirmmütze verliehen. Außerdem sparte ihr das Tragen der Uniform Kosten für andere Kleidung, die im wesentlichen aus zwei Jeans bestand. Sie schlüpfte durch den Vorhang in eine Nische, die als Klo, Toilettentisch und Duschkabine genutzt wurde, und schaltete automatisch den Walkman an, der an einem Band hing. Das Radio war ein Schatz, den sie bei einem Familienausflug am Playa del Este gefunden hatten. Sie hatte den Mädchen gesagt, sie sollten die »Liebespärchen« von jineteras und Touristen ignorieren, doch nachdem Muriel über etwas so Unglaubliches wie ein Radio von der Größe einer Muschelschale gestolpert war, beobachteten sie und ihre ältere Schwester den Strand wie zwei Geier, die darauf lauerten, im Sand nach Schätzen zu wühlen, sobald ein »Paar« gegangen war.
    Der Wasserstrahl glich eher einem lauwarmen Rinnsal, doch das reichte. Es lief über Stirn und Hals und tropfte von den Händen. Sie war insgeheim ziemlich stolz auf ihr Haar, das kurz geschnitten und weich war wie der Kopf eines Persianerlamms. Die Musik war einschmeichelnd und perkussiv. Deine Zigarre ist hingefallen. Du hast mir erzählt, wie gut sie sei und wie sehr alle Frauen deine große Zigarre mögen. Wir haben kaum angefangen zu rauchen, schon fällt deine Zigarre hin. Ofelia entspannte ihre Schultern und ließ sie im Rhythmus der Musik kreisen. Zwischen ihren Füßen floß das Wasser in den Abfluß. Ihr Bild im Spiegel über dem Waschbecken begann zu beschlagen. Eine dreißigjährige Frau, die immer noch aussah wie die Tochter eines schwarzen Plantagenarbeiters. Obwohl sie nicht eitel war, haßte sie Bikinistreifen auf sonnengebräunter Haut - da war es schon besser, überall gleich braun zu sein. Sie beugte sich vor und ließ das Wasser wie Glasperlen von ihren Haaren tropfen.
    Die Kommissarin in ihr machte sich Gedanken über den toten Russen, den sie im Wasser gefunden hatten. Sie hätte ein sehr viel stärkeres Interesse seiner Botschaft erwartet, und die Tatsache, daß sie offenbar bereit waren, ihn loszuwerden wie einen überfahrenen Hund, war praktisch der Beweis dafür, daß er nichts Gutes im Schilde geführt hatte. Die Bucht war schließlich ein perfekter Ausgangspunkt für Schmuggel, Infiltration und das Ausspionieren von Schiffen. Und der Commandante selbst hatte gesagt, daß man keinen bösartigeren Feind haben konnte, als den, den man einst seinen Freund genannt hat.
    Der neue Russe schien ein wenig widersprüchlich. Der vornehme Mantel war ein sicheres Zeichen für Korruption, während der erbärmliche Zustand der übrigen Kleidung auf völliges Desinteresse an seiner äußeren Erscheinung schließen ließ. In einem Moment wirkte er wie ein einigermaßen wacher Ermittler, im nächsten schien er sich in einem privaten Gedankengang zu verflüchtigen. Er war blaß, doch er hatte tief umschattete Augen.
    Die Seife war ein Stück, das ihre Mutter von einer Freundin

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