Nacht in Havanna
ergattert hatte, die in einem Hotel arbeitete, und ein solcher Luxus, daß Ofelia länger duschte als nötig, weil es trotz der Stimmen aus den anderen Wohnungen des solar der intimste Moment ihres Arbeitstages war. Um Batterien zu sparen, genehmigte sie sich sonst nur die Länge eines Liedes.
In Pullover und Jeans machte sie Muriel, Marisol und sich einen Teller mit Reis, Bohnen und dem dunkelbraun gebratenen Knorpel fertig, den zu identifizieren ihre Mutter sich weigerte. Aus dem Kühlschrank nahm sie eine mit gekühltem Wasser gefüllte Plastikflasche.
»Im Kochstudio im Fernsehen haben sie heute gezeigt, wie man ein Steak aus Grapefruitschalen zubereitet«, berichtete ihre Mutter. »Sie haben eine Grapefruitschale in ein Steak verwandelt. Ist das nicht unglaublich? Diese Revolution wird von Tag zu Tag unglaublicher.«
»Ich bin sicher, es war lecker«, sagte Ofelia. »Unter den Umständen.«
»Sie haben es mit Begeisterung gegessen. Mit Begeisterung!«
»Das hier schmeckt übrigens auch gut«, sagte Ofelia und sägte an ihrem Knorpel. »Was sagtest du noch, was es ist?«
»Ein Säugetier. Hast du heute irgendwelche gefährlichen Männer getroffen, jemanden, der dich umbringen und deine Töchter mutterlos machen könnte?«
»Einen. Einen Russen.«
Nun war es an ihrer Mutter, entsetzt zu sein. »Einen Russen, das ist ja noch schlimmer als Grapefruitschalen. Warum bist du bloß zur Polizei gegangen? Ich kann das noch immer nicht verstehen.«
»Um den Menschen zu helfen.«
»Die Leute hier hassen dich. Man trifft nie jemanden aus Havanna, der zur Polizei geht. Immer nur Fremde. Wir waren doch glücklich in Hershey.«
»Da gibt es nichts als Zuckerfabriken.«
»In Kuba, wie überraschend!«
»Man darf nicht ohne Genehmigung nach Havanna umziehen. Ich bin Expertin in Polizeiarbeit. Sie wollen mich hier haben, und ich will hier wohnen und die Mädchen auch.«
Dies war ein Thema, bei dem Ofelia sich immer auf die Unterstützung ihrer Töchter verlassen konnte. »Wir wollen hier wohnen.«
»Niemand will in Hershey wohnen. Da gibt’s bloß Zuckerfabriken.«
»Havanna ist voller Mädchen aus solchen Städten ohne offizielle Zuzugsgenehmigung, und sie verdienen ihre Dollars alle im Liegen. Der Tag wird kommen, an dem ich mich auf die Suche nach Kondomen für meine Enkelinnen machen muß.«
»Oma!«
Ihre Mutter gab nach, und sie sägten alle schweigend an dem Fleisch auf ihrem Teller herum, bis die alte Frau fragte: »Und wie sieht dieser Russe aus?«
Plötzlich fiel es Ofelia ein. »Du hast mir in Hershey einmal einen Priester gezeigt, der sein Amt aufgeben mußte, weil er sich in eine Frau verliebt hatte.«
»Ich bin überrascht, daß du dich daran erinnerst, du warst noch so klein. Ja, sie war eine wunderschöne Frau, sehr fromm, und es war eine durch und durch traurige Geschichte.«
»So sieht er aus.«
»Wirklich unglaublich, daß du dich daran erinnerst«, murmelte ihre Mutter gedankenverloren.
Als Ofelia gerade dachte, die innerfamiliären Spannungen hätten sich soweit abgebaut, daß sie in Ruhe zu Abend essen konnten, klingelte das Telefon. Ihr Telefon war das einzige im ganzen solar, und sie hatte ihre Mutter im Verdacht, darüber die Lotterie des Viertels abzuwickeln. Die illegale kubanische Lotterie war der legalen venezolanischen Lotterie angeschlossen, und wer per Telefon Wetten abgeben konnte, war enorm im Vorteil. Ofelia stand auf und ging langsam um die Stühle der Mädchen herum zum Telefon an der Wand, um ihrer Mutter zu demonstrieren, daß sie nicht die Absicht hatte, sich wegen der ruchlosen Geschäfte ihrer Nachbarn zu beeilen. Doch ihre Mutter wahrte die Unschuldsmiene, bis Ofelia aufgelegt hatte. »Was war denn?«
»Es geht um den Russen«, sagte Ofelia. »Er hat jemanden umgebracht.«
»Ah, ihr seid füreinander bestimmt.«
Als sie in dem Apartment eintraf, knallte Capitán Arcos gerade das Telefon auf die Gabel und brüllte Arkadi an: »Ihre Botschaft kann Ihnen keinen Schutz gewähren. Es wird Unmutsbekundungen des kubanischen Volkes gegen die Verräter geben, die es verkauft haben. Die uns für dreißig Silberlinge den Judaskuß auf die Wange gedrückt haben. Wenn es nach mir ginge, würde ich keinen einzigen Russen auf die Straße lassen. Ich könnte die Sicherheit eines Russen nicht garantieren, nicht einmal in der sichersten Hauptstadt der Welt, so tief geht der kubanische Zorn. Ihr kriecht ins Lager des Feindes und gebt uns Kubanern den Rat, es euch nachzutun. Ihr
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