Nacht in Havanna
jedoch mit der fröhlichen Erwartung von Theaterbesuchern. Der einzige Neuankömmling, der bar jeden Ausdrucks schien, war ein blasses, schwarzhaariges Mädchen in Jeans und einem Trikot mit der Aufschrift »Tournee de Ballet«. Ihr folgte ein hellbrauner Kubaner mit blauen Augen und silbergrauen Schläfen in einem eleganten kurzärmligen Hemd.
»George Washington Walls«, stellte Erasmo ihn vor. »Arkadi.«
Kein Kubaner, sondern ein amerikanischer Name, der ihm vage bekannt vorkam. Hinter Walls erschien ein Tourist mit einem Ahornblattanstecker und der letzte Mensch, den Arkadi treffen wollte: Sargento Luna. Ein für das Nachtleben herausgeputzter Luna in Leinenhosen, weißen Schuhen und einem Muscleshirt, das die geschmeidigen Muskeln seines athletischen Oberkörpers auf eine Art betonte, die Arkadi unwillkürlich zusammenzucken ließ.
»Mein guter Freund, mein lieber guter Freund, ich wußte nicht, daß Sie sich schon wieder so wohl fühlen.« Luna legte einen nackten Arm um Arkadi, den anderen um ein Mädchen mit wilder Mähne und glatter Haut von der gleichen bernsteinfarbenen Tönung, eine exotische Schönheit mit dunkelrot lackierten Fingernägeln in glänzenden engen Shorts und einem knappen Top, die so heftig in Lunas Umarmung zappelte, daß Arkadi sich nicht gewundert hätte, in ihrem Bauchnabel einen Aufziehschlüssel zu entdecken. »Hedy. Mujer mia.« Der Sargento beugte sich verschwörerisch zu Arkadi hinüber. »Ich muß Ihnen was erzählen.«
»Bitte.«
»Bei der russischen Botschaft gibt es gar keinen Soschtschenko.«
»Ich habe gelogen. Es tut mir leid.«
»Aber Sie haben gelogen, und Sie haben die Wohnung verlassen, obwohl ich es Ihnen verboten hatte, verstehen Sie? Doch heute abend sollen Sie sich ruhig amüsieren. Ich möchte nicht, daß Sie irgend jemandem den Spaß verderben. Dann werden wir beide uns darüber unterhalten, wie Sie zum Flughafen kommen.« Luna kratzte sich mit einem kurzen Eispickel am Kinn. Arkadi begriff das Dilemma des Sargento. Eine Hälfte von Luna wollte ein guter Gastgeber sein, die andere wollte jemandem den Eispickel ins Gesicht rammen.
»Ich kann auch laufen«, meinte Arkadi.
Hedy lachte, als ob er etwas sehr Kluges gesagt hätte, was Luna gar nicht gefiel. Er sagte etwas auf spanisch zu ihr, das sie schlagartig erbleichen ließ, bevor sie sich wieder Arkadi zuwandte. Luna grinste breit und präsentierte seine weißen Zähne und jede Menge rosiges Zahnfleisch. »Sie können auch laufen?«
»Ja. Ich habe erst sowenig von Kuba gesehen.«
»Und Sie wollen noch mehr sehen?«
»Mir scheint, es ist eine wunderschöne Insel.«
»Sie sind verrückt.«
»Das könnte sein.«
Das Mädchen in dem Ballett-Trikot hieß Isabel und sprach sehr gut russisch. Sie fragte Arkadi, ob es stimmte, daß er sich in Pribludas Wohnung eingerichtet habe. »Ich wohne über ihm. Sergej sollte einen Brief aus Moskau für mich entgegennehmen. Ist er schon angekommen?«
Lunas Anwesenheit hatte Arkadi so aus der Fassung gebracht, daß er erst nach einer längeren Pause antwortete: »Nicht, daß ich wüßte.«
Der Sargento schien andere Pflichten zu haben. Nachdem Walls kurz mit Luna gesprochen hatte, versicherte er seinem Freund mit dem Ahornblattanstecker. »Gleich geht’s richtig los.«
»Ich wünschte, ich würde spanisch sprechen.«
»Das brauchen Sie nicht, Sie sind Kanadier. Investoren müssen kein Spanisch können«, versicherte Walls ihm. »Und hierher kommen Investoren aus der ganzen Welt. Kanadier, Italiener, Spanier, Deutsche, Schweden, sogar Mexikaner. Alle außer den Amerikanern. Hier wird der nächste große Wirtschaftsboom dieser Erde stattfinden. Gesunde, gutausgebildete Menschen. Eine technologische Grundlage. Lateinamerika ist ganz heiß. Steigen Sie ein, solange Sie noch die Gelegenheit haben.«
»Seit zwei Tagen versucht er, mir was zu verkaufen«, sagte der Kanadier.
»Er klingt ziemlich überzeugend«, meinte Arkadi. »Heute«, sagte Walls, »haben wir für unseren Freund aus Toronto einen folkloristischen Abend organisiert.«
»Ich finde es widerlich«, sagte Isabel zu Arkadi. »Isabel, wir reden jetzt für unseren Freund englisch«, bat Walls sie in der leutseligen Art eines Mannes, dem es durchaus ernst ist. »Ich habe dir doch Englischunterricht gegeben. Sogar Luna spricht englisch. Kannst du nicht ein bißchen englisch reden?«
»Er behauptet, daß er mich nach Amerika bringt«, sagte Isabel. »Dabei gelingt es ihm nicht mal, selbst nach Amerika zu
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