Nacht in Havanna
eigentlich?«
»Ich wünschte, ich wüßte es.«
Im Wohnzimmer hörte man Schreie, und Sekunden später stürzte Hedy an ihnen vorbei in den Flur. Der Santero und der Kanadier folgten ihr.
»O nein«, stöhnte Walls. »Das sollte doch nur eine Show sein.«
»Wie meinen Sie das?« fragte Arkadi. »Sie ist besessen.«
Isabel wirkte unbeeindruckt. »Das passiert dauernd. Die ganze Insel ist besessen.«
Der Hof war dunkel, doch Hedy hatte den Suppenkessel umgestoßen, und Funken regneten auf ihre Haare herab. Sie wandte sich von den Kohlen ab, ihre glänzenden Shorts matt von Asche, ihr goldenes Haar zerzaust. Der Santero folgte ihr und versuchte, einen unsichtbaren Gegenstand aus ihrem Körper zu ziehen. Der Kanadier sah aus, als würde er sich am liebsten an ein friedliches, entlegenes Plätzchen verkrümeln. Als Luna auf den Hof stürzte, breitete der Santero hilflos die Arme aus und schob Hedy zwischen sich und den Sargento.
Erasmo zwängte sich in seinem Rollstuhl nach draußen und erklärte Arkadi: »Luna sagt, er würde den Santero umbringen, wenn er den Geist nicht aus Hedy austreibt. Doch der Santero sagt, das könne er nicht.«
»Vielleicht sollte er es noch mal probieren.« Arkadi sah den Eispickel in Lunas Hand.
Als Luna Hedy zur Seite zerrte, riß ein Träger ihres Oberteils, und eine Brust quoll heraus wie ein loses Auge. Luna packte den Santero am Hals und bog seinen Körper, Bauch nach oben, in Richtung der Palmen. Der Kanadier drängte sich durch die auf den Hof strömende Menge und schubste Arkadi nach vorn. Niemand rührte sich, bis auf Abuelita, die mit den Händen ins Feuer griff, sich auf die Fußspitzen stellte und einen hellen Strom glühender Kohlen über Lunas Rücken rieseln ließ. Als Luna zu ihr herumfuhr, bekam Arkadi sein Handgelenk zu fassen, ein Gefühl, als würde er in das eiserne Rad einer Lokomotive greifen. Er drehte Lunas Arm in dem bewährten Abfuhrgriff, der auf der Polizeischule der Moskauer Miliz gelehrt wurde, auf den Rücken und rammte ihn mit dem Kopf gegen die Wand. Luna prallte zurück und hinterließ einen pinkfarbenen Abdruck auf dem Zement. Blut war auf seine Hose und seine weißen Schuhe gespritzt.
Arkadi dachte, daß er den Sargento nicht hart genug angefaßt hatte.
»Jetzt bist du de verdad am Arsch.« Luna grinste ihn mit roten Zähnen an. Er atmete nicht einmal schwer, er hatte kaum richtig angefangen.
Parate. Eine kleine Frau mit einer stahlharten Stimme trat zwischen sie. Da sie keine PNR-Uniform, sondern nur ein knappes Oberteil und Shorts trug, brauchte Arkadi eine Weile, bis er seine neue Mitstreiterin als Kommissarin Osorio erkannte. Woher sie gekommen war und wie lange sie die Szene schon mit ihren grimmigen kleinen Augen verfolgt hatte, wußte er nicht. In einer Hand hielt sie eine Strohtasche, in der anderen eine Neun-Millimeter-Makarow, er erkannte die Waffe sofort. Sie hatte sie nicht erhoben oder angelegt, doch Luna war sie auch nicht entgangen. Er hob die Hände, nicht aus Schüchternheit oder um zu kapitulieren, sondern eher, um anzudeuten, daß auch er die Komplikationen der neuen Situation erkannt und sich seiner Pflichten als Polizist erinnert hatte, jedoch mit Arkadi noch lange nicht fertig war. »Voll am Arsch«, sagte er im Hinausgehen zu Arkadi. Abuelita klopfte sich die Asche von den Händen. In der Mitte des Hofs starrte Hedy auf ihren abgerissenen Träger und den Dreck auf ihren glänzenden Shorts und brach in Tränen aus. Arkadi ging zurück ins Haus, um nach Mongo und den Trommlern zu sehen, doch sie waren alle gegangen. Die Kommissarin folgte ihm mit einer Miene, die auszudrücken schien, daß die Welt voller Narren war.
10
Während er und die Kommissarin Erasmo ins Bett brachten, sah sich Arkadi in dem Raum um, den sich der Mechaniker als privates Wohnquartier eingerichtet hatte: eine kleine Kammer, die nur dadurch ein wenig größer wirkte, daß Pritsche, Anrichte, Tisch und Stühle auf halbe Höhe gestutzt waren. Auf einem mit goldenem afrikanischen Stoff bezogenen Kissen lag eine Sammlung von militärischen Orden und Bändern. Die Fotos an der Wand kündeten von größerem Ruhm, als Erasmo verraten hatte. Ein Bild zeigte Erasmo im Krankenbett mit zwei Besuchern in Drillichuniformen. Der eine war groß und dunkelhäutig, trug eine Pilotensonnenbrille und wäre in Rußland als Armenier durchgegangen, der andere war älter, mit Vollbart und buschigen Brauen, einzigartig und unverkennbar der Commandante persönlich.
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