Nacht in Havanna
kommen.«
»Ich glaube, die Vorstellung geht jeden Moment los.« Walls bat die Gäste zurück ins Haus, wo das Getrommel eine neue Intensität erreichte. »Arkadi, ich muß irgendwas verpaßt haben. Was tun Sie hier?«
»Ich versuche bloß, nicht unangenehm aufzufallen.«
»Sehr gut«, meinte Walls und hielt ihm einen gereckten Daumen entgegen.
Jede Trommel war anders - eine große Tumba, eine an ein Stundenglas erinnernde Bäta, zwei Congas -, jede benannt nach einem anderen Geist der Santeria oder Abakua, Maracas, um Changö zu wecken, eine Bronzeglocke für Ochün, alle im Vielklang vereint, als ob man Drinks mischen würde, vielleicht ein bißchen gefährlich, fragte selbst Erasmo sich, während er erklärte. Mongo schlug unter Strömen von Schweiß mit glänzenden Augen auf seine Klinge ein, sein Ruf in einer Sprache, die nicht Spanisch war, wurde von den Trommlern und ihren Instrumenten simultan beantwortet, als ob jeder der Männer zwei Stimmen hätte. Alle waren in den Raum gedrängt und drückten sich nun an die Wände. Erasmo wiegte auf seinem Stuhl hin und her, als könnte er ihn durch die schiere Kraft seiner Arme zum Schweben bringen, um Arkadi zu erzählen, daß dies der wahre Reichtum Kubas war, eine Geschichte aus spanischem Bolero und französischer Quadrille, die auf den afrikanischen Kontinent gestoßen waren, was eine tektonische Explosion zur Folge hatte. Die Kisten, auf denen sie saßen und trommelten, waren Beweis des kubanischen Genius. In Afrika hatten die geheimen Abakua »sprechende Trommeln«, erzählte Erasmo. Als sie in Ketten eintrafen, um auf den Docks von Havanna zu arbeiten, und ihre Herren ihnen die Trommeln abnahmen, waren sie einfach auf Kisten ausgewichen, und presto war Havanna wieder voller Trommeln. Ein kubanischer Musiker ließ sich genau wie ein kubanischer Fischer durch nichts aufhalten! Arkadi hatte in Moskau einmal eine Kassette mit kubanischer Musik gehört, doch verglichen mit den lebendigen Klängen war es wie der Unterschied zwischen dem Betrachten eines Fotos vom Meer und einem Bad in der brausenden Brandung. Mongo machte mit seiner tiefen Stimme weiter den Vorsänger, und der gesamte Raum antwortete und wogte im Rhythmus der fremden Worte mit, die Congas hielten den Takt, während die Hände auf Kisten Synkopen setzten. Luna stand mit verschränkten Armen an der Tür und nickte lächelnd. Sosehr sich Arkadi auch nach einem Fluchtweg umsah, der Sargento stand stets zwischen ihm und dem Ausgang. »Kennen Sie den Mann?« fragte Erasmo.
»Wir sind uns schon mal begegnet. Er ist ein Sargento im Innenministerium. Was tut er auf einem solchen Folkloreabend?«
»Jeder tut verschiedene Dinge, es ist einfach eine Notwendigkeit und keineswegs ungewöhnlich.«
»Inszenierte Santeria?«
Erasmo zuckte die Achseln. »So ist das Kuba von heute. Außerdem ist es eigentlich eher Abakua als Santeria. Abakua ist anders. Wenn meine Mutter hörte, daß Abakua in der Gegend waren, durfte ich nicht auf die Straße, weil sie dachte, daß sie kleine weiße Kinder für ihre Zeremonien einfangen würden. Jetzt lebt sie in Miami und glaubt es immer noch.«
»Aber Sie haben doch gesagt, daß dies das Haus eines Santero ist.«
»Abends zelebriert man keine Santeria«, sagte Erasmo, als ob das selbstverständlich wäre, »weil nach Einbruch der Dunkelheit die Toten unterwegs sind.«
»Jetzt sind die Toten unterwegs?«
»Nachts ist Kuba eine ziemlich dichtbevölkerte Insel«, erwiderte Erasmo und mußte selbst über die Vorstellung lächeln.
»Wie dem auch sei, Luna muß irgendwas mit Abakua zu tun haben. Jeder hat entweder mit Santeria oder mit Abakua oder mit sonst was zu tun.«
»Warum kommt mir der Name seines Freundes George Washington Walls so bekannt vor?«
»Er war einmal eine Berühmtheit. Der Radikale, der Flugzeugentführer.«
Sogar sehr berühmt, wie Arkadi sich jetzt erinnerte. Er hatte das Zeitungsfoto eines jungen Amerikaners mit Afrofrisur und Schlaghosen vor Augen, der auf einer Flugzeugrampe eine kleine Fahne verbrannte.
»Was für Investitionen kann Walls denn auf Kuba anbieten? Wenn die Toten nicht unterwegs sind?«
»Gute Frage.«
Arkadi hatte nicht mitbekommen, wann der Rhythmus sich verändert und Luna und seine goldene Freundin Hedy die Bühne betreten hatten. Sie tanzten, nicht wie zwei getrennte Wesen, sondern Körper an Körper mit wiegenden Hüften. Während der Sargento seine Hände über ihren Rücken wandern ließ, wölbte sie sich ihm mit
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