Nacht in Havanna
kennenlernen.«
»Hören Sie ihn nicht?« Erasmo schaltete das Radio ab, und Arkadi vernahm etwas, das sich anhörte wie Steine in der Brandung, wenn sie sich nach einem Rhythmus bewegen würden.
Als er die Wohnung des Santero betrat, war Arkadi unvorbereitet. Wenn man Russen etwas über Kuba lehrte, lasen sie nur von weißen Männern wie Fidel und Che. Von Schwarzen hörten Russen nur im Zusammenhang mit den westlichen Verbrechen des Imperialismus und der Sklaverei. Die einzigen Schwarzen, die man in Moskau traf, waren die erbärmlich frierenden afrikanischen Studenten, die man an die Patrice-Lumumba-Universität importiert hatte, und die sahen aus wie frisch geschorene Schafe.
Die Musiker in dem vorderen Zimmer des Santero waren anders. Es waren schwarze Männer mit faltigen Gesichtern, die hinter dunklen Brillen und ihrer eigenen Schwärze verborgen blieben, mit kleinen optischen Ausrufezeichen wie weißen Golfmützen, Rastalocken oder Mongos grüner Baseballkappe, aber in einen im Kerzenlicht zitternden Umhang aus Schatten gehüllt. Der ganze Raum schwebte auf dem fließenden Licht von vierzig bis fünfzig Kerzen, die auf einem Beistelltisch, dem Kaminsims und entlang des Sockels aufgestellt waren. Zum Aufwärmen klatschte ein Trommler träge auf die Holzkiste, auf der er saß, zwei andere neigten den Kopf, um großen, schmalen Trommeln zu lauschen, während Mongo eine mit Muscheln behängte Kürbisflasche schüttelte. Zu Füßen der Musiker lagen Glocken, Stäbe und Rasseln. Mongo legte die Flasche beiseite und nahm eine Metallplatte zur Hand, auf die er mit einem stählernen Stab schlug und dabei so helle und leise Töne hervorbrachte, daß Arkadi eine Weile brauchte, bis er das Instrument als die Klinge einer Hacke erkannte. An der Wand hing ein Spiegel, der mit einem Tischtuch verhängt war. Als Arkadi versuchte, Mongo anzusprechen, scheuchte ein dicker, in eine Wolke aus Zigarrenqualm gehüllter Mann ihn und Erasmo fort. »Der Santero«, erklärte Erasmo Arkadi. »Keine Sorge, sie wärmen sich erst auf.«
Der Mechaniker hatte seinen Overall gegen ein gebügeltes weißes Hemd ausgewechselt, das er eine guayabera nannte, »der absolute Gipfel kubanischer Abendgarderobe«, doch mit den verräterischen Ölspuren an seinen Händen und seinem Bart sah er aus wie ein Korsar im Rollstuhl. Er drängte weiter und führte Arkadi auf einen Hinterhof, wo eine alte schwarze Frau in einem weißen Rock und einem Michael-Jordan-Pullover unter zwei kärglichen, sich kreuzenden Palmen saß und in einem Kessel rührte, dessen Inhalt über einem Kohlenfeuer vor sich hin köchelte. Ihr Haar war grau und kurz wie Baumwolle geschnitten. »Das ist Abuelita«, sagte Erasmo. »Abuelita ist nicht nur jedermanns Großmutter, sondern auch die für die Überwachung dieses Häuserblocks zuständige responsable de vigilancia des CDR, des Komitees zur Verteidigung der Revolution. Normalerweise sind das Spitzel, aber wir haben großes Glück mit Abuelita. Sie guckt pflichtschuldig von sechs Uhr morgens an aus dem Fenster und sieht den ganzen Tag nichts.«
»Hat sie Pribluda je gesehen?«
»Fragen Sie sie selbst, sie spricht englisch.«
»Aus der Zeit vor der Revolution.« Ihre Stimme klang jung und wispernd. »Es gab jede Menge Amerikaner, und ich war ein sehr sündhaftes Mädchen.«
»Haben Sie den Russen, der hier wohnt, schon mal gesehen?«
»Nein. Wenn ich ihn je gesehen hätte, hätte ich ihn melden müssen, weil er eine Wohnung von einem Kubaner gemietet hat, was gegen das Gesetz verstößt. Aber er war ein netter Mann.« In dem Kessel schwamm ein Schweinekopf. Irgend jemand reichte Erasmo eine Flasche, er nahm einen großen Schluck und gab sie an Abuelita weiter, die schüchtern daran nippte, bevor sie sie Arkadi anbot. »Was ist das?« fragte er.
»Rum für die Kampfkraft.« Ihre Augen registrierten das Pflaster an seinem Kopf. »Die können Sie doch brauchen, wo?« Arkadi hatte eigentlich gedacht, daß er mittlerweile sicher im Keller der Botschaft sitzen und vielleicht einen Tee schlürfen würde. Aber dies hier war nur ein kleiner Umweg. Er trank und hustete. »Was ist denn da drin?«
»Rum, Chili, Knoblauch, Schildkrötenhoden.« Ständig trafen weitere Menschen ein, ebenso viele Weiße wie Schwarze. Arkadi war die gedämpften Versammlungen der russisch-orthodoxen Kirche gewohnt. Die Kubaner hingegen strömten auf den Hof, als ob sie zu einer Party kamen, manche mit der ernsten Hingabe wahrer Gläubiger, die meisten
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