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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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glänzenden Augen und Lippen entgegen und entglitt seinem Griff nur hin und wieder, um ihn noch näher heranzuziehen. Arkadi hatte keine Ahnung, ob das ein religiöser Tanz war oder nicht; er wußte nur, daß in einer russischen Kirche ob solcher Darbietungen die Ikonen von den Wänden gefallen wären. Als alle anderen ebenfalls zu tanzen begannen, manövrierte Walls Hedy von Luna weg auf den Kanadier zu, der tanzte, als würde er Eishockey ohne Schläger spielen. Jetzt war es noch schwieriger, die Tür zu erreichen.
    Erasmo gab Arkadi einen Stoß. »Los, auf die Tanzfläche mit Ihnen.«
    »Ich tanze nicht.« In seinem Zustand war es schon eine Leistung, sich aufrecht auf zwei Beinen zu halten, dachte er.
    »Alle tanzen.« Der Rum schien Erasmus plötzlich mit voller Wucht zu treffen. Er wippte zu dem Rhythmus auf seinem Rollstuhl hin und her, rutschte von dem Sitz und tanzte mit Abuelita wie ein Mann, der kraftvoll durch eine starke Brandung watet. »Keine Beine, und ich bewege mich noch besser als Sie«, sagte er zu Arkadi.
    Peinlich, aber wahr, dachte Arkadi. Außerdem fand er das Getrommel, die Dunkelheit und den Geruch aus Rauch, Rum und Schweiß so überwältigend wie ein zu kräftig geschürtes Feuer. Die Trommeln spielten unisono, trennten sich und kamen wieder zusammen, atemlos, synkopisch, gegen den Takt. Als Mongo die Kürbisflasche schüttelte, wanden sich die Muschelketten um ihren Bauch wie eine Schlange. Der Gesang war ein Frage-und-Antwort-Spiel zwischen der Menge und Mongo, dem Vorsänger mit der dunklen Brille und der vulkantiefen Stimme. Seine Hände verschwammen in der Bewegung, während er seinen Körper langsam hin und her wiegte. Der Rhythmus breitete sich aus und verzweigte sich immer weiter wie strömende Lava. Vielleicht war es auch nur der Rum auf leerem Magen. Arkadi schlich in den Flur, wo er feststellte, daß Isabel ihm gefolgt war.
    »Dafür habe ich nicht klassischen Tanz studiert«, erklärte sie Arkadi.
    »Es ist nicht gerade das Bolschoi, aber ich glaube, in so etwas ist das Bolschoi auch nicht besonders gut.«
    »Denken Sie, ich bin eine Hure?«
    »Nein.« Er war perplex. Das Mädchen sah im Kerzenschein eher aus wie eine Heilige.
    »Ich gebe zu, daß ich mit Walls zusammen bin, weil er mir helfen kann. Aber wenn ich eine echte Hure wäre, würde ich Italienisch lernen. Russisch nutzt einem gar nichts.«
    »Vielleicht sind Sie ein wenig unnachsichtig mit sich selbst.«
    »Wenn ich unnachsichtig mit mir wäre, würde ich mir die Kehle durchschneiden.«
    »Tun Sie das nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Ich habe festgestellt, daß nur sehr wenig Menschen sich selbst gut die Kehle durchschneiden können.«
    »Interessant. Ein kubanischer Mann hätte gesagt: >Oh, aber es ist doch eine so hübsche Kehle.< Bei ihnen läuft alles auf Sex hinaus, sogar Selbstmord. Deswegen mag ich die Russen, bei denen ist ein Selbstmord ein Selbstmord.«
    »Unser besonderes Talent.«
    Isabel blickte nachdenklich zur Seite. Sie hatte den ausgezehrten Charme eines Picasso, blaue Periode. Wundervoll, die beiden depressivsten Menschen im Haus hatten einander angezogen wie Magneten. Er registrierte Walls’ nervösen Blick in ihre Richtung und bemerkte gleichzeitig, daß Luna sich weiter in der Nähe der Tür hielt.
    »Wie lange bleiben Sie in Havanna?« fragte Isabel.
    »Noch eine Woche, dann fliege ich zurück nach Moskau.«
    »Schneit es dort jetzt?« Sie rieb sich die Arme, als wäre ihr kalt.
    »Bestimmt. Sie sprechen ausgezeichnet russisch.«
    »Ja? Nun, in meiner Familie war Moskau das, was Rom für Katholiken ist, mein Vater war dort stationiert, als ich klein war. Und vor der speziellen Periode war es durchaus nützlich, Russisch zu können. Sind Sie ein Spion wie Sergej?«
    »Das scheint ja kein großes Geheimnis gewesen zu sein. Nein.«
    »Claro, er ist kein besonders guter Spion. Er sagt, wenn die in Havanna einen guten Agenten gebraucht hätten, hätten sie ihn nie hergeschickt. Er wollte mir helfen, nach Moskau zu kommen, und von dort aus könnte ich natürlich überallhin. Vielleicht können Sie mir helfen.« Sie kritzelte eine Adresse auf ein Stück Papier und gab sie ihm. »Wir unterhalten uns morgen früh. Können Sie genau um diese Zeit kommen?«
    Bevor Arkadi ablehnen konnte, gesellte sich Walls zu ihnen. »Du verpaßt ja alles«, erklärte er Isabel.
    »Schön war’s«, sagte sie. »Wir sprachen gerade über Sergej.«
    »Ach, wirklich?« fragte er Arkadi. »Wo steckt der gute Genosse

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