Nacht in Havanna
Keiner der beiden Männer trug Abzeichen des Offiziersrangs; es war schließlich eine egalitäre Armee. Castro wirkte aufgeplustert wie ein stolzer Vater, während der zweite Besucher voll Mitleid Erasmos verkürzte Gliedmaßen zu betrachten schien.
»Der kubanische General in Angola«, sagte Osorio. Auf einem weiteren Bild sah man die gleichen vornehmen Freunde an Deck eines Fischerboots, diesmal war Erasmo auf einen Stuhl geschnallt. Familienfotos zeigten wohlhabende Männer und Frauen an Swimmingpools, Bridgetischen und beim Tanz, Kinder auf Baseballfeldern, Ponys oder Fahrrädern, manchmal auch die gesamte Verwandtschaft in Anzügen und Abendkleidern auf Weihnachtsfeiern oder Sektempfängen. In einer breiten Fotomontage drängten sie sich zusammen mit Hunderten ähnlich aussehender Menschen auf einer großen Doppeltreppe, die zu einer weißen Villa führte.
»Er wird sehr lange schlafen«, sagte die Kommissarin. »Das Wort heißt >bewußtlos<.«
Wenn Luna der letzte Mensch gewesen war, den Arkadi hatte treffen wollen, dann war Pribludas Wohnung der letzte Ort, an den zurückzukehren er erwartet hatte, doch auf Osorios Beharren stieg er zusammen mit ihr die Treppe hinauf. Er hatte gedacht, er hätte ziemlich gut aufgeräumt, doch sobald er das Licht anknipste, bemerkte die Kommissarin die Veränderungen.
»Getrocknetes Blut auf dem Teppich. Was ist hier passiert?«
»Das wissen Sie nicht? Sie arbeiten doch mit Luna und Arcos zusammen.«
»Nur in diesem Fall, weil ein Russe darin verwickelt ist.«
»Sie waren nicht überrascht zu sehen, daß der Sargento mit einem Eispickel auf mich losgegangen ist?«
»Ich habe nur gesehen, wie Sie ihn gegen eine Mauer geschleudert haben.«
»Wir haben eine etwas angespannte Beziehung. Er hat mich immerhin mit einem Baseballschläger verprügelt. Ich glaube jedenfalls, daß es ein Baseballschläger war, das hat er gesagt.«
»Er hat Sie geschlagen?«
»Davon wissen Sie nichts?«
»Das ist ein schwerwiegender Vorwurf.«
»Anderswo vielleicht, hier nicht. Nach meiner Erfahrung wird hier praktisch nie ermittelt.«
»Um genau zu sein«, entgegnete Kommissarin Osorio, »habe ich Ihren Freund Erasmo gefragt, was mit Ihnen passiert ist, bevor er ohnmächtig geworden ist. Er hat gesagt, Sie hätten ihm erzählt, Sie wären die Treppe runter gefallen.« Das war die Strafe dafür, je etwas anderes als die ganze Wahrheit gesagt zu haben, dachte Arkadi. Ihr Blick fiel auf den leeren Stuhl in der Ecke. »Was haben Sie mit Changö gemacht?«
»Was ich mit Changö gemacht habe?« fragte Arkadi. »Mit der Puppe? So eine Frage kann einem auch nur in Kuba gestellt werden. Ich weiß es nicht. Entweder hat Luna ihn mitgenommen, oder Changö ist allein gegangen. Wie haben Sie mich gefunden?«
»Ich habe Sie gesucht. Als Sie nicht hier waren, bin ich den Trommeln gefolgt.«
»Natürlich.« Arkadi faßte sich behutsam ans Ohr, das noch immer von Lunas Faustschlag dröhnte, und strich sich über seinen Haaransatz, um festzustellen, ob die Wunde wieder aufgeplatzt war.
Kommissarin Osorio stellte ihre Tasche auf den Wohnzimmertisch. »Lassen Sie mich Ihren Kopf mal sehen. Alle anderen Beweise für den angeblichen Überfall haben Sie ja vernichtet.«
»Ich bin erst den dritten Tag hier, Criminalista, und habe schon mit angesehen, wie sich die PNR vor der Untersuchung von zwei gewaltsamen Todesfällen gedrückt hat. Ich glaube kaum, daß Sie jetzt wegen bloßer Körperverletzung eine Ermittlung beginnen.«
Sie zog seinen Kopf nach unten und drehte ihn energisch in diese und jene Richtung, während sie mit den Fingern über seine Kopfhaut strich. »Was, behaupten Sie, hat Luna gesagt?«
»Der Sargento erwähnte, daß es ihm lieber wäre, wenn ich das Haus nicht verlasse.«
»Nun, Sie haben es trotzdem getan.«
Er verzog das Gesicht, als sie das Haar um die Platzwunde beiseite strich. »Weit bin ich nicht gekommen.«
»Was sonst noch?«
»Gar nichts.« Arkadi hatte bestimmt nicht vor, sich auszuziehen, um ihr die Blutergüsse auf seinem Rücken und an seinen Beinen zu zeigen, und er würde ihr auch das Foto von dem Yacht Club nicht geben, auf daß sie es postwendend beim Sargento abliefern konnte. Daß er es überhaupt noch besaß, war dem schieren Glück zu verdanken, daß er den Paß mit dem Bild wieder in die Tasche geworfen hatte, die Luna schon durchsucht hatte.
Die Kommissarin ließ seinen Kopf los. »Sie sollten zum Arzt gehen.«
»Danke, das hilft mir wirklich
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