Nacht in Havanna
einem Baseballschläger oder einem Eispickel zurückgekommen war. Kommissarin Osorio hatte sich wieder in ihre PNR-Uniform und ihre gewohnt düstere Stimmung gehüllt. Abuelita benahm sich wie ein junges Mädchen und begann sofort mit Arkadi zu flirten. Sie bedankte sich dafür, daß er ihr am Vorabend zu Hilfe gekommen war, ließ sich von ihm ihre Zigarre wieder anzünden, und obwohl der Qualm, der Geruch und das goldene Licht ihn irritierten, gelang es ihm, ihr zu erklären, daß sie, auch ohne offizielle Untersuchung von Pribludas Tod, neugierig waren, wie der Russe gelebt hatte, und wissen wollten, ob sie als wachsames Mitglied des Komitees zur Verteidigung der Revolution seinen üblichen Tagesablauf schildern könnte.
»Langweilig. Manchmal war Ihr Freund wochenlang verschwunden, claro, aber wenn er hier war, war es immer das gleiche. Er verließ morgens um sieben mit einem Aktenkoffer das Haus und kam abends gegen sieben zurück. Außer donnerstags. Donnerstags kam er schon am Nachmittag zurück, ging wieder aus und kam erneut zurück. Samstags ging er im Diplomercado einkaufen, denn er hat mir immer eine Kleinigkeit mitgebracht. Schokolade oder Gin. Ein freundlicher Mensch. Sonntags ging er mit Mongo vor der Mole fischen oder verstaute die Reifenschläuche in seinem Auto, um sonstwohin zu fahren.«
»Sie sind eine sehr gute Beobachterin.«
»Das ist meine Pflicht. Ich bin im CDR.«
»Und donnerstags war sein geschäftiger Tag?«
»O ja.« Sie riß die Augen auf, und ihr Lächeln wurde breiter. Arkadi war bewußt, daß er irgendeine Andeutung übersah, doch er drängte weiter. »Und gab es außer der Tatsache, daß er am Nachmittag noch einmal ausging, sonst noch etwas, was die Donnerstage auszeichnete?«
»Nun, er hat den anderen Koffer mitgenommen.«
»Den >anderen< Koffer?«
»Den häßlichen grünen Plastikkoffer. Kubanisch.«
»Nur an diesem Tag?«
»Ja.«
»Und wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
»Da muß ich nachdenken. H/jo, lassen Sie mich überlegen.« Arkadi war vielleicht ein wenig verwirrt, aber er war nicht blöde. »Wofür ist das Geld in der Krone?« fragte er. »Opfer von Menschen, die spirituellen Rat wünschen oder für die ich die Muscheln werfe oder die Karten lege.«
»Ich brauche einen Rat wegen Pribluda.« Er steckte fünf Dollar in die Krone. »Und er muß auch nicht spirituell sein.«
Abuehta konzentrierte sich. »Nun, wenn ich darüber nachdenke, war das letzte Mal, glaube ich, Freitag vor zwei Wochen. Er ist ein wenig früher als üblich gegangen und ein wenig früher zurückgekommen, so gegen vier.«
»Vier Uhr nachmittags?«
»Ja, nachmittags. Gegen sechs ist er wieder gegangen. Ich erinnere mich daran, weil er sich Shorts angezogen hatte. Er trug immer Shorts, wenn er mit Mongo in die Bucht hinauspaddelte. Aber Mongo war nicht bei ihm.«
Kommissarin Osorio konnte sich nicht länger beherrschen. »Sehen Sie, alles weist daraufhin, daß Pribluda die Leiche ist.«
»Bis jetzt.«
Arkadi war ebenfalls zufrieden, denn nun besaß jeder etwas. Er hatte eine Version von Pribludas letztem Tag, die Kommissarin ihren Augenblick des Triumphs. Und Abuelita hatte fünf Dollar.
Draußen nahte der Tag, eher als ein wahrnehmbarer Schatten denn als helles Licht. Als Arkadi und Osorio den Malecon entlanggingen, entpuppte sich eine Gruppe Männer, die zusammenstanden, als vier Polizisten, die verstohlen rauchten. Aus reiner Neugier kamen sie auf Arkadi zu, bis sie Osorios Uniform erkannten und die Kommissarin ihnen einen Blick zuwarf, der sie eilig den Rückzug antreten ließ. In ihrer Uniform mit Mütze, dem schweren Gürtel und dem Pistolenhalfter bildete sie ihre eigene kleine bewaffnete Marschkolonne, dachte Arkadi. Oder einen kleinen Panzer mit Laseraugen.
Das einzige Boot im ganzen Hafen war die Fähre aus Casablanca, die die Anlegestelle in Havanna ansteuerte. Ihre Fenster schienen im Licht der tiefstehenden Sonne in Flammen aufzugehen, bis nach einer Weile blinzelnde Pendler hinter dem Glas sichtbar wurden. Das Boot stampfte gegen sein eigenes Kielwasser an und schrammte an einem mit Reifen gepolsterten Pier entlang. Sobald die Landungsbrücke herabgelassen war, strömten die Passagiere von Bord, manche ausgestattet mit Aktenkoffern für einen Tag im Büro, andere mit Säcken voller Kokosnüsse und Bananen beladenen Fahrrädern, die sie an einem Schild vorbeischoben, das die »verehrten Fahrgäste« aufforderte, keine Waffen mit an Bord zu bringen.
Ein
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