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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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seetüchtiges kleines Schiff bauen konnte und nebenbei noch frische Eier im Angebot hatte. Die beiden Männer blickten angestrengt in die andere Richtung, was jedoch auch an Osorios stahlhartem Blick liegen mochte. Aus dem Dunkel des Schuppens tauchte der Noah dieser kleinen Werft auf. Sein Name war Andres, er trug eine zuversichtlich in die Stirn gedrückte Kapitänsmütze und stieß einen Schwall offenbar blumiger Erklärungen aus, bis die Kommissarin seinen Redefluß stoppte.
    Das Boot, das zur Zeit repariert werde, erklärte er, sei in Spanien gebaut worden und als Hilfskreuzer und Frachter im Einsatz gewesen, bevor es für technologisch überholt erklärt und vor zwanzig Jahren für einen Spottpreis an Kuba verkauft worden sei. Arkadi vermutete, daß weitere Andeutungen über Schmuggel und Meeresstürme in der Übersetzung verlorengingen. Im Gegensatz zu anderen Kubanern, deren Gesichter jede emotionale Regung verzeichneten wie ein Seismograph, wirkte das der Kommissarin beinahe ausdruckslos.
    »Hat Andres von der Leiche gehört, die hier gefunden wurde?«
    »Er sagt, sie reden seit Tagen über nichts anderes. Er fragt sich, warum wir zurückgekommen sind.«
    »Hat er an der Stelle, wo der neumät/co entdeckt wurde, sonst noch etwas im Wasser gefunden?«
    »Er sagt, nein.«
    »Hat er eine Karte von der Bucht?« Arkadi bahnte sich um stinkende Berge von aus dem Meer geborgenen Dosen und Flaschen einen Weg zum Steg.
    »Wie Sie wissen, wurde die Leiche nur hierher angetrieben. So etwas wie einen Tatort haben wir nicht.«
    »Ich würde eher sagen, daß wir einen sehr großen Tatort haben.«
    Andres kehrte mit einer Karte zurück, auf der sich die Bucht von Havanna als ein Kanal entpuppte, der die Stadt mit dem Castillo El Morro verband und drei voneinander getrennte Buchten mit Wasser versorgte: im Westen, der Innenstadt Havannas am nächsten, Atares, in der Mitte Guanabacoa und im Osten Casablanca. Arkadi folgte mit dem Finger den Spuren der Fahrrinnen, Fährrouten, Baken, Bojen und der wenigen Hindernisse und begriff, warum der Hafen von Havanna der Umschlagplatz der lateinamerikanischen Besitztümer Spaniens gewesen war. Aber für Andres war es bloß ein »großer Sack von einer Bucht«.
    »Was hineintreibt, kann auch wieder hinausgetrieben werden, sagt er. Das kommt auf die Gezeiten an: rein bei Flut, raus bei Ebbe. Und auf den Wind: rein bei Nordwest, raus bei Südost. Und auf die Jahreszeit: Im Winter werden die Winde allgemein kräftiger, im Sommer ziehen die Wirbelstürme Wasser aufs Meer hinaus. Wenn alles ausgeglichen wäre, könnte eine Leiche ewig in der Mitte der Bucht kreiseln, aber meist weht ein starker Nordwestwind und treibt die Leiche direkt in seine Werft. Deshalb findet man in Havanna lebendige und in Casablanca tote neumät/cos.« Arkadi setzte prüfend einen Fuß auf den brüchigen Steg, der ihm aus irgendeinem Grund vielversprechend erschien. Andres’ eigenes Boot, die »El Pinguine« war in einem koketten Blau gestrichen und bot zwei Personen Platz, wenn sie sich zwischen Maschinenkasten, Netzkorken, Eimern, Gaffel und Pinne quetschten. Auf dem Vorderdeck war zwischen Fischgalgen ein Segel aufgetucht. Auf dem Heckbalken, der vom Töten der Fische mit einem Kreuzstichmuster überzogen war, lagen Tau und Draht. Keine Satellitenverbindung, kein Sonargerät, keine Fischlupe, kein Radar oder Funk.
    Die Kommissarin folgte ihm. »Der äußere Anschein kann täuschen, sagt Andres. Er behauptet, es sei genug Boot, um bis nach Key West zu kommen und wegen des Fangs von amerikanischem Marlin verhaftet zu werden. Das erste HemingwayGedächtnisturnier im Hochseefischen in Havanna«, fügte sie hinzu, »hat übrigens Fidel gewonnen.«
    »Warum überrascht mich das nicht?«
    Von dem Boot angezogen, überquerte Arkadi die Planken des Stegs, die so weit auseinanderlagen, daß er sein eigenes Spiegelbild im Wasser sehen konnte. Was er nicht begriff, waren die Schwimmer, die von orangefarbenen Spießen durchbohrt waren, die mindestens drei Meter aus dem Wasser ragten. »Das«, erklärte Andres via Osorio, »ist das kubanische System.« Der Fischer drehte die Karte um und skizzierte mit einem Bleistiftstummel eine wellige Wasseroberfläche mit in regelmäßigen Abständen aufrecht im Wasser treibenden Pfählen. Sie waren durch eine »Mutterleine« zu einer langen Kette verbunden. »Das Problem mit Fischen ist, daß sie zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Tiefen schwimmen. In Vollmondnächten

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