Nacht in Havanna
immer alle Zimmer belegt. Aber für die »Liebespaare« aus jineteras und Touristen gab es jederzeit ein Zimmer mit frischen Laken, Handtüchern und einer Vase mit einer langstieligen Rose. Ofelia hatte festgestellt, daß Beschwerden bei den Behörden ergebnislos blieben, was bedeutete, daß die Polizei das Motel schützte. Neunzig Dollar pro Nacht und Zimmer, der Preis eines Zimmers der gehobenen Kategorie im Hotel Nacional, waren Grund genug, die Hand über eine solche Goldgrube zu halten, selbst wenn das Gold mit dem Schweiß kubanischer Mädchen erkauft wurde.
Eine schwergewichtige Frau in einem Overall fegte die Straße in dem gleichmäßigen Rhythmus von zwei Besenstrichen pro Minute. Ofelia bezog Position neben der Eismaschine unter der Treppe zum ersten Stock und lauschte der Musik und gelegentlichen Schritten aus den Räumen über ihr. Lediglich die beiden mittleren Zimmer waren belegt, was ihr in Anbetracht der begrenzten Einsatzkräfte und wenigen Zeit nur recht war. Die beiden Jungen an der Tischtennisplatte beendeten ein Spiel und begannen ein neues.
Sie hatte entschieden, daß der Russe ein Desaster war, das es zu meiden galt. Schon das Licht in seinen Augen war wie die Glut eines fast gelöschten Feuers, die davor warnte, sie zu schüren. Es war schon schlimm genug, daß er eine Gefahr für sich selbst darstellte, aber seine Geschichte über Luna war der reine Wahnsinn. Hier war ein Mann, der Luna gegen eine Mauer schleuderte und sich dann bescheiden überrascht zeigte, wenn der Kopf des Sargento aufplatzte. Wie Renko sich den Kopf aufgeschlagen hatte, wußte sie nicht. Vielleicht war an seiner Geschichte mit dem Schläger etwas dran. Doch ihrer Ansicht nach war Renko eine Ziege, die die brillante Idee gehabt hatte, einen Tiger zu fangen, indem sie selbst als Köder fungierte. Er würde den Tiger schon anlocken, möglicherweise sämtliche Tiger des Dschungels, aber was dann? Eigentlich schade, denn er war ein guter Ermittler. Mit ihm nach Casablanca zurückzukehren und zu beobachten, wie er Andres, dem Fischer, die Informationen entlockt hatte, war eine Lehrstunde in Polizeiarbeit gewesen. Er war nicht dumm, bloß verrückt, und im Moment hatte sie ebensoviel Angst, mit ihm zusammenzusein, wie ihn allein zu lassen.
Die Straßenfegerin steckte den Besen in eine Tonne. Über Ofelias Kopf fiel eine Tür zu, und zwei Paar Schritte gingen über den Balkon. Ofelia folgte ihnen und versteckte sich hinter der Treppe, als sie nach unten kamen. Erst als das Pärchen die Ebene des Pools erreicht hatte, bemerkten sie Ofelia, die sich in ihrer grau-blauen PNR-Uniform so aufrecht wie möglich hielt, und die Straßenkehrerin, die ihnen mittlerweile ebenfalls in Uniform und mit gezückter Waffe gegenüberstand.
Der Tourist war ein rothaariger Mann in Hemd, Shorts, Sandalen und einer Prada-Tasche um seinen Stiernacken. Einen seiner dicken Arme hatte er wie ein sommersprossiges Würstchen um die Schulter des Mädchens gelegt. »Scheiße«, sagte er, als er die Kommissarin sah.
Ofelia erkannte Teresa Guiteras. Das Mädchen war schwarz, kleiner als Ofelia, mit einer lockigen Mähne und einem gelben Kleid, das ihren Hintern kaum bedeckte. »Diesmal ist es Liebe«, erklärte sie der Kommissarin.
In einem Anfall hektischer öffentlicher Bautätigkeit hatte Kuba in den dreißiger Jahren Polizeireviere wie Wüstenforts erbaut. Die Wache am westlichen Ende des Malecon war der Sonne besonders ausgesetzt, Farbe blätterte von den Zinnen, auf dem Dach thronte ein Funkmast, und ein Wachmann stand im Schatten des Eingangs. Für eine Lüftung hatte es nie gereicht, so daß sich im Innern stickige Luft mit dem noch zu erahnenden Geruch von alter Pisse altem Blut vermischte. Die Polizei führte in regelmäßigen Abständen Razzien gegen die jineteras durch und vertrieb sie vom Malecon und der Plaza de Armas. Doch am nächsten Abend waren dieselben Mädchen wieder da, nur daß sie jetzt noch ein bißchen mehr für den Polizeischutz bezahlen mußten. Da Ofelias kleiner Feldzug sich weniger gegen die Mädchen als vielmehr gegen korrupte Beamte richtete, war sie bei den anderen, ausschließlich männlichen Kommissaren, mit denen sie ihr Büro teilte, nicht besonders beliebt. Als sie mit dem Mädchen auf das Revier zurückkehrte, stellte sie fest, daß die Wand hinter ihrem Schreibtisch mit einem Poster von Sharon Stone verziert worden war, die rittlings auf einem Stuhl saß. In die Mitte des Posters waren die Bestimmungen zum Schutz
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