Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
dunkelrot, als ob jemand kübelweise Blut verschüttet hätte. Ein Blutkranz schmückte die Wand über dem Kopf des Bettes, doch es gab keine zerbrochenen Möbel oder verschmierte Blutspritzer an den Tapeten, die auf einen Kampf hingedeutet hätten. Als erster an dem noch unberührten Schauplatz eines Mordes einzutreffen, war ein Geschenk, hatte Dr. Blas stets doziert. Wenn man kein entschlossener Ermittler war, wenn man die einzigartige Chance, als erster am Tatort zu sein, nicht ergreifen und sich nicht mit allen Sinnen und dem Verstand darauf einlassen konnte, wenn sich die Augen oder Gedanken auch nur ein wenig vor dem Schatten des Mörders verschlossen, dann sollte man diese Tür nicht öffnen. Man sollte Kinder großziehen, einen Bus fahren, Tabakblätter rollen, was auch immer, aber dieses Geschenk nicht jenen Männern und Frauen wegnehmen, die die nötige Disziplin und den Mumm für den Job hatten.
    Bei beiden Leichen hatte die Totenstarre bereits eingesetzt, sie mußten also seit mindestens vier Stunden tot in der Hitze Havannas liegen. Die Wunden des Mannes sahen aus, als ob man sie ihm zugefügt hatte, während er in Richtung Tür robbte. Wenn er dazu in der Lage gewesen war, warum hatte er dann nicht geschrien? Wer war zuerst gestorben? Die Beine des Mädchens lagen in einer Blutlache. Haar und Schamhaar waren von derselben honigfarbenen Tönung, und obwohl ihr Gesicht ins Kissen gedreht war, erkannte Ofelia in ihr eine besudelte Version Hedys, des schönen Mädchens, das besessen über glühende Kohlen getanzt war.
    Nachdem sie getan hatte, was sie ohne Gummihandschuhe tun konnte, ging Ofelia, die blutigen Schleifspuren auf dem Boden sorgfältig meidend, ins Bad und übergab sich in die Toilette. Als sie die Spülung betätigte, bildete sich ein strudelnder Rückstau aus Erbrochenem und hellrotem Wasser. Bevor er überquoll, griff sie mit der Hand so tief wie möglich in die Schüssel und löste einen blutgetränkten Ballen Klopapier, der sich in dem Abfluß verkeilt hatte. Unter trockenem Würgen legte sie ihren Fund auf ein Handtuch: einen durchgeweichten italienischen Paß auf den Namen Franco Leo Mossa, 43, aus Mailand, und den kubanischen Ausweis einer Hedy Dolores Infante, 25, aus Havanna. Dazu ein ziemlich zerfleddertes Foto, ein Schnappschuß, der offenbar vor dem Flughafen in einem Gewimmel von Taxis, Koffern und verhärmten russischen Gesichtern gemacht worden war. Das Motiv war Renko in seinem schwarzen Mantel mit einem wehmütigen Lächeln im Gesicht. Ofelia wußte nicht, warum, aber sie steckte das Foto instinktiv ein, bevor sie aus dem Schlafzimmer an die frische Luft auf dem Balkon mit Blick auf die Bucht und die auf dem Wasser treibenden neumäticos taumelte.
     
    16
     
    Ein Chihuahuapärchen lief Arkadi auf dem Weg voraus, sie verdrehten die Augen, warfen ihm schmachtende Blicke zu, tänzelten hier um einen Weihnachtsstern und schnupperten dort an einem Grabstein, bis sie ihn unter einen Schleier aus herabhängenden Tamarindenzweigen führten, wo drei Chinesen mit nacktem Oberkörper einen Marmordeckel schrubbten, den sie von einem Sarkophag gehoben hatten. In dem Grab hockte Erasmo mit einem Sack voller Werkzeuge.
    »Es gibt nicht viele Jobs, bei denen es ein Vorteil ist, keine Beine zu haben«, meinte Erasmo. »Die Arbeit in einem Sarg gehört zufälligerweise dazu. Sie sehen nicht besonders glücklich aus.«
    »Ich komme gerade vom Havana Yacht Club«, sagte Arkadi. »Sie haben mir erzählt, der Havana Yacht Club sei bloß ein Witz, nur ein paar Angler, Sie, Mongo und Pribluda. Aber das Bild wurde beim Yacht-Club gemacht, und Sie haben nie erwähnt, daß dieser Club tatsächlich existiert.«
    Erasmo runzelte die Stirn und kratzte sich am Bart. »Er existiert und existiert nicht. Das Gebäude steht noch, der Strand ist noch da, aber man kann es wohl kaum noch einen Club nennen. Es ist kompliziert.«
    »Wie Kuba?«
    »Wie Sie. Warum haben Sie mir nicht erzählt, daß Sie Rufo Pinero getötet haben. Ich habe es auf der Straße erfahren.«
    »Es war ein Unfall.«
    »Ein Unfall?«
    »Eine Art Unfall.«
    »Ja, das ist, als würde man sagen, russisches Roulette wäre eine Art Spiel. Wir tun also auf unterschiedliche Weise das gleiche. Ich habe Sie jedenfalls nicht angelogen. Als wir uns Havana Yacht Club genannt haben, war das wirklich ein Witz. Wir fanden das damals komisch.«
    »Ein toller Club. Pribluda ist möglicherweise tot, Mongo wird möglicherweise vermißt, und Sie sind vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher