Nacht in Havanna
wie eine Blume in der Blüte, er verströmte einen Geruch, der wie Blutstropfen in den Nebenhöhlen klebte und die Zunge belegte. Trotzdem hatte sie eine Skizze und Notizen zu Papier gebracht, die sie dem zuständigen Beamten überreichen wollte, den das Innenministerium schicken würde; denn es ging hier nicht mehr allein um einen Fall von Prostitution, und das Innenministerium überließ Gewaltverbrechen, in die ausländische Besucher verwickelt waren, nicht einem einfachen PNR-Kommissar.
»Ich werde auch den sexuellen Aspekt untersuchen«, sagte Blas. »Sie war eine Prostituierte.«
Ofelia blickte auf das Bett. Für ein Mädchen, dem man den Kopf halb abgeschlagen hatte, wirkte Hedy, auf beinahe unzerwühlten Laken von Blut gerahmt, geradezu friedlich entrückt. »Der Mörder hatte keinen Sex mit ihr.«
»Wenn man ein Mädchen im Bett ermordet, ist das für mich sexuell.«
Das war zumindest ein Hauch von Einsicht, dachte Ofelia. »Ich habe die Frau gestern bei einer Santeria-Zeremonie gesehen.«
»Was ist los mit Ihnen? Sie haben soviel Potential, warum geben Sie sich mit solchem Hokuspokus ab?«
»Das Mädchen war besessen.«
»Das ist doch albern.«
»Sind Sie noch nie besessen gewesen?« Blas wischte seinen Bleistift ab. »Natürlich nicht.«
»Mir ist es einmal passiert. Sie mußten es mir hinterher erzählen.« Die gesamte Nacht war ein blinder Fleck in ihrer Erinnerung geblieben.
»War dieser Italiener auch bei der Zeremonie?«
»Nein.«
»Gut. Dann ist sie später noch irgendwo anders hingegangen, wo sie ihn aufgegabelt hat. An Ihrer Stelle würde ich nicht von Santeria anfangen, wenn es nicht einen sehr guten Grund dafür gibt. Wir befinden uns in einem auf Touristen spezialisierten Hotel, wie immer man dazu stehen mag. Sollen wir allen erzählen, daß religiöse Fanatiker von Zimmer zu Zimmer rennen und die Leute massakrieren?«
»Was glauben Sie, was der Russe sagen wird?«
»Renko? Warum sollte der irgendwas sagen?«
»Er war gestern abend auch bei der Zeremonie. Er hat das Mädchen gesehen.«
»Er wird trotzdem nichts sagen, weil wir ihm nichts davon erzählen werden. Glauben Sie, die Russen würden uns über jeden Mord informieren?« Blas strich mit den Wachsfingern der Gummihandschuhe über die Rückseite der Beine des Italieners, die wegen der durchtrennten Arterien bewegungsunfähig gewesen waren, so daß er sie beim Kriechen hinter sich hergezogen haben mußte. »Renko ist nicht unser Kollege. Im Grunde wissen wir nicht genau, was er ist. Die Tatsache, daß ein Ermittler nach Havanna kommt, ist ein sicheres Zeichen dafür, daß noch etwas anderes dahintersteckt. Ich will von ihm nur ein besseres Foto von Pribluda.«
Das Foto von Renko am Flughafen steckte in ihrer Tasche. Bei all dem Durcheinander in dem Zimmer blieb immer noch genug Zeit, es wiederzufinden.
»Hat Sargento Luna Ihnen je ein Bild von Renko gezeigt?« fragte sie.
»Nein.« Blas strich über die Arme des Toten. »Rechtshänder, der Muskulatur nach zu urteilen. Gepflegte Fingernägel.«
Die Zickzackspur von Schnittwunden auf dem Rücken des Toten ließ darauf schließen, daß der Angreifer über ihm gestanden und rechts und links auf ihn eingehackt hatte. Ofelia überlegte, ob sie die beiden runden Blutergüsse erwähnen sollte, die sie an Arkadis Arm entdeckt hatte, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, daß das ein Vertrauensbruch gewesen wäre.
»Vielleicht sollten wir den toten Russen noch einmal untersuchen. Ist es möglich, daß er vom Blitz getroffen wurde? Es hat in jener Woche geregnet.«
»Aber es gab keine Blitze über der Bucht. Ich bin Ihnen einen Schritt voraus. Ich habe die meteorologischen Unterlagen auf Blitzschlag und die Leiche auf Spuren von Verbrennungen untersucht. Machen Sie sich wegen Renko keine Sorgen.« Blas kniff in den Arm des Toten. »Ich habe schon öfter mit Russen zu tun gehabt. Jeder von ihnen, darunter auch eine Frau, mit der ich intim war, war ein Spion. Jeder war das genaue Gegenteil von dem, was er oder sie zu sein vorgab.« Er schmunzelte in seinen Bart und kam Ofelia in diesem Moment vor wie ein Mann, der ein wenig zu verliebt in seine eigenen Erinnerungen war. »Was behauptet Renko zu sein?«
»Ein Idiot.«
»Nun, sein Fall bildet möglicherweise eine Ausnahme.« Blas drehte die Leiche auf den Rücken. Der Blutverlust hatte schließlich zur Bewußtlosigkeit geführt, und obwohl das Haar des Italieners zerzaust und blutverklebt war, erinnerte sein Gesichtsausdruck an den
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