Nacht in Havanna
Universität. Als sie versuchte, mich zu erregen, sagte ich, nein, ich sei nicht interessiert, ich hätte keine Zeit. Daraufhin begann sie zu schreien, und dieser Mann (Zeuge weist auf Jose Romero) stürzte fluchend aus dem Haus und ging mit einem Bleirohr auf mich los. Ich verteidigte mich, bis die Polizei vorbeikam. Unterzeichnet Rufo Pinero Perez
Rufos Name hatte ihrem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen. Ein ehemaliger Boxer auf seinem unschuldigen Weg zur Universität. Zu einer Lyrikvorlesung, fragte Ofelia sich. Oder einem Seminar für Nuklearphysik?
Die Aussage wird durch den Beamten bestätigt, der die Verhaftung vornahm und bei Ausübung seiner Pflicht von den Eheleuten Romero ebenfalls bedroht und tätlich angegriffen wurde.
Unterzeichnet
Sargento Facundo Luna, PNR
Ofelia erinnerte sich, daß Maria gesagt hatte, daß der Rücksitz des Polizeiwagens mit einer Plastikplane abgedeckt war, weil Luna wußte, daß er blutüberströmte Menschen transportieren würde, und daß Rufo seine Zigarren aus dem Handschuhfach genommen hatte, wo er sie vorher verstaut hatte, damit sie in dem Handgemenge nicht zerdrückt werden würden. Luna und Rufo hatten das Ganze geplant.
Sie glaubte zu wissen, was in der Casa del Amor geschehen war. Blas hatte ein Verbrechen aus Leidenschaft vermutet, ein kubanischer Freund, der den Italiener und das kubanische Mädchen in einem Anfall unkontrollierbarer Wut getötet hatte. Doch vor ihrem inneren Auge sah Ofelia Franco Mossa und Hedy im Dunkeln trinken, zur Musik aus dem Radio tanzen, lachen. Es war unwahrscheinlich, daß Hedy über große Italienischkenntnisse verfügt hatte, aber wieviel brauchte sie? Sie verzog sich ins Bad, kehrte nackt zurück, ein vollbusiges, honigfarbenes Mädchen. Sie schlüpfte ins Bett und eilte, sobald er im Bad verschwunden war, zum Balkon, wo sie für einen Freund die Tür öffnete. Hedy konnte nicht viel gesehen haben, aber sie mußte das saugende Geräusch gehört haben, als der Eispickel aus dem Hals des Italieners gezogen wurde. Was hatte Hedy geglaubt, was geplant war? Erpressung war das übliche Spiel mit den Touristen. Sie mußte stumm und überrascht gewesen sein, als die Machete aus der Dunkelheit auf sie zugeschwirrt war und den Kopf halb von ihrem Hals abgetrennt hatte. Nach getaner Arbeit mußte der Mörder blutüberströmt wie eine Schlachthauswand gewesen sein. Die Frage war: Warum die Fotografie des Russen? Wer hatte sie bei sich gehabt, Hedy oder ihr Freund? Hatte es einen Moment gegeben, wo er das Badezimmerlicht angemacht und zu seiner Überraschung festgestellt hatte, daß er einen Italiener namens Franco statt eines Russen namens Renko massakriert hatte?
Da sie schon einmal an der Maschine saß, ließ sie eine Suche nach weiteren Verbindungen zwischen Rufo Pinero und Facundo Luna durchlaufen. Neben Marias Fall tauchten zwei weitere auf. Vier Jahre zuvor hatte sich eine Gruppe von Kriminellen zusammengefunden, um unter dem Vorwand, eine politische Opposition zu organisieren, Drogen zu verteilen. Als Mitglieder der Gemeinschaft von diesem Plan erfuhren, stürmten sie das Haus des Rädelsführers und verlangten die Herausgabe der Drogen. In einem Handgemenge, das der Rädelsführer und seine Familie provoziert hatten, hatten die beiden Patrioten sich verteidigen müssen, und sie hießen zufällig Rufo Pinero und Facundo Luna. In jüngerer Zeit hatte eine Zelle sogenannter Demokraten eine Demonstration geplant, bei der sie in Wahrheit ansteckende Krankheitserreger freisetzen wollten, woran sie von wachsamen Bürgern gehindert worden waren, darunter der aufmerksame Luna und Pinero. Ofelia war durchaus der Ansicht, daß Kubaner das Recht hatten, ihre Feinde zu bekämpfen, weil die Gangster in Miami vor nichts zurückschrecken würden: Attentate, Bomben, Propaganda. Die bloße Existenz Kubas erforderte Wachsamkeit. Doch die Rolle, die Rufo und Facundo in diesen Fällen gespielt hatten, beunruhigte Ofelia. Sie schaltete den Computer ab und wünschte beinahe, sie hätte ihn gar nicht erst angemacht.
Auf dem Weg nach draußen bemerkte sie, daß die Beamten, die an dem Tisch gearbeitet hatten, verschwunden waren. Statt dessen saß Luna dort. Sie war überrascht, daß er die Casa del Amor bereits verlassen hatte. Er hielt seine Arme so über der Brust verschränkt, daß sein Hemd über den Muskeln spannte. Sein Gesicht lag im Schatten seiner Mütze, während sein Kiefer malmte. Er hatte den Stuhl ein wenig vom Tisch
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