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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Begeisterung über den Film, der bereits angefangen hatte und in dem es offenbar um einen eifrigen jungen Mönch ging, der seine Schwester gegen Gangster aus Hongkong verteidigen mußte. Die Dialoge waren nicht etwa in spanisch, sondern in chinesisch mit Untertiteln in einem anderen chinesischen Dialekt. Das Lachen der Schauspieler war gräßlich, und jeder Tritt klang, als ob man eine Melone spalten würde. Arkadi hatte kaum den Koffer auf seinen Schoß gelegt, als sich ein kleiner Mann mit spitzer Nase und Brille neben ihn setzte, der den gleichen Koffer trug.
    »Kommen Sie von Sergej?« flüsterte er auf russisch. »Ja.«
    »Wo sind Sie gewesen? Wo ist er gewesen? Ich war letzte Woche den ganzen Tag hier, und heute habe ich den Film auch schon einmal gesehen.«
    »Wie lange läuft der Film schon?«
    »Einen Monat.«
    »Das tut mir leid.«
    »Das will ich meinen. Ich bin schließlich derjenige, der alle Risiken auf sich nimmt. Und das ist ein Film für Kretins. Es ist schon schlimm genug, daß ich es überhaupt mache, aber mich so zu behandeln.«
    »Das ist nicht in Ordnung.«
    »Es ist entwürdigend. Das können Sie Sergej ausrichten.«
    »Wessen Idee war es?«
    »Sich hier zu treffen? Meine, aber ich hatte nicht vor, hier ganze Tage zu verbringen. Die müssen mich für pervers halten.« Auf der Leinwand streifte der Gangsterboß einen Handschuh mit Schlagbohrer über und demonstrierte seinen Einsatz an einem unglücklichen Spießgesellen. »In den alten Tagen war dies mal das beste Pornokino Havannas.«
    »Was ist passiert, als sie auf Karatefilme umgestellt haben?«
    »Wir haben unsere Freundinnen mitgebracht und gevögelt. Die Chinesen haben nie auf uns geachtet.«
    Es war dunkel, und Arkadi wollte seinen neuen Bekannten nicht zu offensichtlich mustern, doch was er bei einem kurzen Seitenblick sah, war ein Bürokrat, Mitte Sechzig, mit grauem Schnurrbart und leuchtenden Vogelaugen.
    »Sie haben schon viel Zeit in diesen Räumen verbracht.«
    »Ich leide unter einer ganz speziellen persönlichen Geschichte.
    Überrascht, einen Chinesen in Kuba zu treffen?«
    »Ja.«
    »Sie wurden hergebracht, als der Sklavenhandel zusammenbrach. Hier ist Rauchen verboten«, sagte der Mann, um zu erklären, warum er die Glut seiner Zigarette mit der Hand abschirmte. Er tauschte die Koffer aus und steckte seinen Kopf im Licht der Zigarette in den Koffer, den Arkadi ihm gegeben hatte, um das Geld zu zählen, die gleichen hundert Dollar, die Pribluda jede Woche ausgegeben hatte. »Sie müssen das verstehen, ich stehe unter enormem Druck. Wenn ich gewußt hätte, was der Kauf eines Autos alles mit sich bringt, hätte ich mich nie darauf eingelassen.«
    »Sie können sich ein Auto kaufen?«
    »Gebraucht natürlich. Ein 55er Chevrolet mit Originalledersitzen.« Auf der Leinwand stürmten die Gangster ein Atelier, in dem das Mädchen gerade damit fertig geworden war, eine Taube aus weißem Marmor zu modellieren. Als die Gangster die Flügel der Taube abbrachen, brach ihr Bruder auf einem Motorscooter durch das Atelierfenster. »Wo ist Sergej?«
    »Es geht ihm nicht gut«, sagte Arkadi, »aber ich werde ihm ausrichten, daß Sie ihm rasche Genesung wünschen.« Der Mönch war der reinste Wirbelwind, er erledigte die Schurken mit einer Reihe von Sprüngen und Tritten, und Arkadis Kopf pochte bei jedem blutspritzenden Tritt. Als der Gangsterboß seinen Handschuh überstreifte, stand Arkadi auf.
    »Sie wollen schon gehen?« fragte sein Freund. »Jetzt kommt die beste Stelle.«
     
    Ofelia kam zu spät zu einem Treffen mit Muriels Lehrerin. Sie hatte sich beeilt, weil sie überzeugt davon war, daß der italienische Begleiter von Hedy nur niedergemetzelt worden war, weil er Renko ähnelte. Sie war rechtzeitig in die Klinik zurückgekehrt, um Lohmann, den Kaufmann aus Hamburg, zu erwischen, der noch immer untersucht wurde, und er hatte trotzig bejaht, daß sein Freund Franco sich vor ein paar Tagen an einem dieser lächerlich niedrigen Türstürze in Habana Vieja den Kopf gestoßen hatte. Die arme Hedy war ohnehin nicht die hellste gewesen, dazu hatte sich alles, Ort, Zeit, Aussehen, Namen und ein einfacher Kratzer am Kopf des Italieners, gegen sie verschworen. Ofelia sehnte sich nach einer Dusche. Sie spürte den Tod wie einen Film auf ihrer Haut. Und auch wenn die anderen ihn nicht wahrnahmen, sie konnte ihn riechen.
    Eine Fußgängerbrücke führte von der Quinta de Molina zu der Schule, modern und luftig mit pastellfarbenen Wänden, die mit

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