Nacht-Mähre
natürliche Pferde seid, die magische Talente besitzen, widerspricht dies der Theorie, daß jedes Wesen nur ein Talent besitzen kann, denn dann habt ihr ganz offensichtliches zwei davon. Wir glaubten auch, daß jedes Lebewesen ein einziges, völlig einzigartiges Talent besitzt, doch dann entdeckten wir die Fluchungeheuer, die alle dasselbe Talent haben – aber das widerspricht wenigstens nicht der Regel, daß es pro Person nur ein Talent gibt. Ihr dagegen…«
»Ich verstehe«, meinte sie.
»Alle Nachtmähren können sich entmaterialisieren und Träume projizieren. Vielleicht können Lebewesen ja doch zwei Talente besitzen.«
»Vielleicht kann aber auch ein magisches Wesen, das nachts durch Gegenstände gleiten kann, das einzige Talent der Traumprojektion haben«, warf er ein. »Das würde gerade noch in unsere gegenwärtige Definition passen – wenn auch nur mit Müh und Not –, doch es bleibt der Verdacht, daß wir eines Tages vielleicht eine Form der Magie entdecken werden, die nicht in das Schema paßt. Nehmen wir doch nur einmal diesen Reitersmann: Das ist offensichtlich ein Mensch, der die Fähigkeit hat, andere Menschen zu verzaubern. Das ist an sich nichts sonderlich Ungewöhnliches; mein Vater Roland kann Leute lähmen, und König Trent kann sie natürlich sogar in etwas ganz anderes verwandeln. Aber wie kann sich der Reitersmann umherbewegen, ohne dabei bemerkt zu werden? Besitzt er vielleicht noch ein zweites Talent, das vielleicht diesem Talent der Nacht gleicht? Wir wissen es nicht, aber wir müssen auf diese Möglichkeit gefaßt sein.«
»Jetzt verstehe ich, was Ihr meint«, sagte sie. »Ja, die Magie ist doch viel komplizierter, als ich dachte.«
»Ich würde ganz gerne mit dir einmal durchgehen, wo sich der Reitersmann jeweils aufhielt, als einer unserer Könige gerade verzaubert wurde«, fuhr Bink fort. »Offenbar war er ja da, um seine schlimme Tat auszuführen, aber er befand sich auch bei den Mundaniern, als diese sich weit vom Ort des Geschehens aufhielten. Die Art und Weise seiner Fortbewegung könnte uns wertvolle Aufschlüsse darüber geben, wie wir ihn dingfest und unschädlich machen können. Er muß ein Mensch aus Xanth sein, der den Mundaniern hilft, weil er sich davon persönliche Vorteile verspricht. Offenbar haben die Mundanier ihm dafür den Posten ihres stellvertretenden Anführers übertragen, andererseits hilft er ihnen aber auch nicht allzuviel. Er hat dir gestattet zu fliehen, obwohl er wußte, daß du für Xanth kämpfst, um seine Dienste für die Mundanier dadurch aufzuwerten.«
»Dieser Schurke!« sendete Imbri heftig zusammen mit einem Bild von einem Zusammenstoß des Mondes mit der Sonne, bei dem brennende Käsebrocken auf Xanth herabprasselten. »Wenn die Mundanier und die Xanther sich gegenseitig vernichten, kann er die Macht an sich reißen.«
»So sind Schurken nun einmal«, stimmte Bink zu. »Seine Macht besteht darin, daß er anderen Menschen den Geist raubt oder diesen lähmt, aber es kann sein, daß ihm dies gar nicht innewohnt. Vielleicht hat er jetzt eine Flasche voller menschlicher Geister, ganz wie der Gute Magier Humfrey Flaschen mit so ziemlich allem anderen hat. Vielleicht ist es diese Flasche, die die Magie durchführt, indem sie die Könige einfach aufsaugt. Aber auf jeden Fall muß er sich dazu seinen Opfern nähern. Wir können gewiß nicht davon ausgehen, daß wir über die Art seiner Magie genau Bescheid wüßten.«
Imbri konzentrierte sich. Sie war dem Reitersmann nur zweimal begegnet – einmal in der Nähe von Schloß Roogna, kurz bevor es König Trent erwischt hatte, und einmal im Lager von Varsoboes im nördlichen Xanth. Sie hatte ihn weder gesehen, als König Dor verzaubert worden war, noch, als der Zombiemeister dem Zauber zum Opfer gefallen war, obwohl es im nachhinein einleuchtete, daß er der Mann im Baum gewesen sein mußte.
»Damals hätte er also bei der mundanischen Armee sein können«, meinte Bink. »Die Mundanier waren ja nicht weit entfernt, am gegenüberliegenden Flußufer, als König Dor schlief. Du hast den Reitersmann nicht gesehen, weil er sich versteckt hielt und auf eine günstige Gelegenheit lauerte.«
Imbri mußte ihm zustimmen. Im Gewirr der Schlacht wäre es ein Leichtes gewesen, sich an das königliche Zelt anzuschleichen.
»Und beim nächsten Mal war der Zombiemeister ebenfalls im Feld«, fuhr König Bink fort.
Imbri projizierte die Szene noch einmal für ihn und zeigte ihm, wie der Zombiemeister geschlafen
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