Nacht-Mähre
das nichtexistierende Gewitter, über den nichtexistierenden Boden hinweg – und stürzten in die äußerst existente Spaltenschlucht. Der Reitersmann hatte die Spalte natürlich schon längst wieder vergessen, und die Mundanier hatten überhaupt nie von ihr gewußt.
Der Reitersmann befahl seiner Truppe, sofort anzuhalten, um sich erneut zu sammeln – doch er hatte weitere dreißig Mann verloren. Nun waren es nur noch einhundertfünfzig, und er wirkte alles andere als erfreut darüber. Er zügelte sein Pferd kurz vor der Illusion und schüttelte die geballte Faust mit dem Armreif.
Imbri war insgeheim froh, daß der Mann das Tagpferd nicht wieder eingefangen hatte. Er mußte sein Reittier einem untergebenen Offizier abgenommen haben. Ob er auf dem Braunen in einer Nacht bis zum Schloß Roogna und zurück geritten war? Das war sehr unwahrscheinlich, dazu wirkte das Pferd zu ausgeruht. Vielleicht hatte er noch ein anderes benutzt.
»Ach ja, du mundanischer Flegel?« knurrte König Iris in Erwiderung seiner Geste. »Du kannst mich nicht bedrohen, Gaulkopf! Mit meinen Illusionen zerschlag ich dir deine ganze Armee, bevor ihr Schloß Roogna auch nur zu Gesicht bekommen habt!« Iris ließ das Bild eines Knarzstrauchs entstehen, der ein äußerst unhöfliches Geräusch von sich gab.
Verächtlich ritt der Reitersmann durch diese Illusion hindurch – um voll gegen den dahinter befindlichen Eisenholzbaum zu prallen. Das Pferd geriet ins Stolpern, und der Reitersmann wurde abgeworfen. Er rollte durch den Dreck und blieb unverletzt, aber außer Fassung und wütend liegen.
»Ach, Mutter, das war aber gar nicht nett!« kicherte Irene.
König Iris formte ein Abbild ihres eigenen Gesichts vor dem gestürzten Mann und feixte ihn an.
Der Reitersmann erblickte sie, machte eine ausladende Bewegung mit beiden Händen – und die Illusion verschwand!
Königin Irene blickte ihre Mutter entsetzt an. »Was war…« Dann stieß sie einen Schrei aus.
Nun war es allen klar: König Iris hatte den gefürchteten Feind herausgefordert – und war von seinem Zauber getroffen.
Nach einer schockierten Pause schickte Imbri dem Mädchen einen kleinen Traum: »Was habt Ihr nun vor, König Irene?«
Irene geriet ins Stammeln. »Ich bin nicht… ich kann doch nicht…«
»König Arnolde hat Euch zur Zauberin erklärt, folglich zum Magier, folglich zum Thronfolger, und er hat Euch zum achten König von Xanth ernannt. Nun müßt Ihr das Amt antreten und während der Krise innehaben. Xanth braucht Euch, Majestät. Wenigstens wissen wir, daß Eure Mutter im Kürbis in Sicherheit ist.«
Das Mädchen reckte das Kinn vor, das kurz vorher noch gebebt hatte. »Ja, jetzt ist sie bei Vater, vielleicht zum ersten Mal. Jedenfalls solange wir ihren Körper beschützen. Doch sobald die Mundanier ihren Fuß ins Schloß setzen, sind wir verloren. Sie werden die Körper unserer Könige töten, und dann werden unsere Lieben auf alle Zeiten im Kürbis bleiben, wenn nicht sogar noch Schlimmeres geschieht. Unsere Lage ist verzweifelt, denn wir verfügen über keine Magie mehr, die den Feind auf weite Entfernung zerschlagen könnte.« Sie hielt inne und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. »Wer wird nach mir König werden?«
»Humfrey meinte, daß es während dieses Krieges zehn Könige geben wird«, erwiderte Imbri. »Aber Ihr seid der letzte Magier. Wir können es nicht zulassen, daß der Reitersmann den Thron beansprucht, nur weil wir ihn nicht vorher besetzen. Ich glaube, Ihr solltet schon sofort für alle Fälle Euren Nachfolger unter den geringeren Talenten bestimmen.«
König Irene nickte. Sie ließ ihren Blick ein zweites Mal durch den Raum schweifen, um die Anwesenden zu mustern. Chamäleon war gerade dabei, zusammen mit Crombie dem alten Soldaten König Iris in das Gemach zu bringen, wo die letzten sechs Könige aufgebahrt lagen.
»Chamäleon«, sagte Irene.
Die Frau blieb stehen. Imbri mußte sich erst wieder an den Anblick gewöhnen, denn Chamäleon war nun weit von ihrer früheren Schönheit entfernt. Es wäre ungnädig gewesen, sie als häßlich zu bezeichnen, aber genau diesen Zustand steuerte sie inzwischen an. »Jawohl, Euer Majestät?« Sogar ihre Stimme war rauher geworden.
»Ihr werdet König Nummer Neun sein«, sagte Irene klar und deutlich.
»Was?« Mit einer freien Hand strich Chamäleon sich eine Haarsträhne von einem Ohr, das besser verborgen geblieben wäre.
»Ihr seid die Mutter eines Königs und die Frau eines Königs,
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