Nacht-Mähre
und ihr gelangt gerade in Eure schlaue Phase. Wir haben keine Magier mehr zur Verfügung, also müssen wir es mit Intelligenz versuchen. König Arnolde hat uns gezeigt, was man mit Intelligenz alles erreichen kann. Er hat die Thronfolge geklärt und die verschollenen Könige ausfindig gemacht. Er hat Xanth damit mehr geholfen, als es jede Magie hätte tun können. Ihr werdet noch klüger werden. Vielleicht seid Ihr ja in der Lage, das Geheimnis des Reitersmanns zu lösen, bevor…« Sie zuckte mit den Schultern.
»Bevor er der zehnte König von Xanth wird«, beendete Chamäleon den Gedanken. Sie war inzwischen viel schneller dabei, anderer Leute Gedanken nachzuvollziehen, nachdem sie ihre anfängliche Überraschung überwunden hatte, daß ihr das Königsamt blühte.
Imbri empfand diese ständige Veränderung als höchst bemerkenswert. Sie wußte, daß Chamäleon noch immer dieselbe Frau war, doch sie glich der Person, mit der sie einmal nach Norden geritten war, um die Mundanier auszukundschaften, nur noch wenig. Die andere Chamäleon hatte ihr besser gefallen.
Tandy löste Chamäleon ab und half Crombie dabei, den ehemaligen weiblichen König von Xanth ins Nebenzimmer zu bringen. Chamäleon kehrte zu Irene zurück. »Ich verstehe Eure Logik«, sagte sie. »Ich bin zwar keine Zauberin, und es gibt viele Leute in Xanth, deren Magie viel stärker ist als meine, aber ich glaube, daß Ihr recht habt. Was wir jetzt am meisten benötigen, das ist nicht Magie, sondern Intelligenz – und die kann ich für eine Weile bieten.« Sie lächelte schief, weil sie besser als alle anderen wußte, daß Xanth eine miserable Zukunft drohte, wenn sie ihr Amt zu lange ausüben würde. Sie mußte die Angelegenheit während des Tiefpunkts ihrer Schönheit erledigen, weil es keine Intelligenz gab, die dann der ihren ebenbürtig war. »Ich werde dafür Sorge tragen, daß der Reitersmann nicht der zehnte König wird, egal was ich sonst erreichen oder nicht erreichen mag.« Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, die Tatsache zu bezweifeln, daß Irene verzaubert werden würde, denn sie wußte, daß dies angesichts der Prophezeiung vergeblich gewesen wäre. »Aber solltet Ihr Euch dem Reitersmann unmittelbar stellen, König Irene…«
Irene furchte die Stirn. »Ich kann Euch in Eurem Gedankengang nicht folgen.«
»Ihr seid eine wunderschöne junge Frau. Es könnte sein, daß er seine Thronbesteigung noch auf andere Weise zu legitimieren versucht.«
Irene errötete. »Ich würde ihn umbringen!« Dann legte sie den Kopf etwas schräg und überlegte es sich noch einmal. »Ich werde ihn sowieso töten, wenn ich Gelegenheit dazu bekommen sollte. Das bin ich meinem Vater, meiner Mutter und meinem Mann schuldig…«
Wieder lächelte Chamäleon. Wie anders dieses Lächeln doch jetzt wirkte, wenn man es mit seinen früheren Fassungen verglich! Es war eine kalte, berechnende Gesichtsbewegung. »Ich stelle Eure persönliche Loyalität Xanth gegenüber nicht in Frage. Es ist die Art von Denkweise, die Männern einfällt, wenn sie auf junge Frauen Eurer Art treffen. Wenn Ihr Euch hinreichend disziplinieren könntet, um seinen Interessen zum Schein entgegenzukommen, zumindest so lange, bis Ihr sein Geheimnis enthüllt habt…«
Langsam begann Irenes Lächeln dem der älteren Frau zu gleichen. Das merkwürdigste daran war, daß es auf Irenes Gesicht kein bißchen schöner aussah als auf Chamäleons. Imbri sah, verstand – und fühlte sich davon abgestoßen. Menschenfrauen wußten sehr genau um die Macht, die sie über Menschenmänner ausübten, und sie setzten sie skrupellos ein. Welch eine häßliche Weise, Xanth zu retten! Doch wenn es so weit kommen sollte, welche bessere Möglichkeit gäbe es da noch? Was ließ sich durch einen Krieg nicht rechtfertigen? Imbri wußte es nicht genau. Vielleicht gab es auf derlei Fragen ja auch keine richtige Antwort.
Nun machte sich König Irene daran, ihren Feldzug zu planen. Der magische Spiegel zeigte die Mundanier, die inzwischen ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten; jedenfalls waren mehrere Lagerfeuer zu sehen, während der Rest in Dunkelheit gehüllt blieb. Wenn die Punier ihren Marsch im Morgengrauen fortsetzen sollten, würden sie mindestens zwei Stunden brauchen, um die unsichtbare Brücke zu erreichen – von der der Reitersmann offensichtlich zu wissen schien –, und noch um einiges länger, um bis Schloß Roogna vorzustoßen.
Irene drehte sich zu Imbri um. »Könntest du die Brücke heute nacht
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