Nacht-Mähre
ersten Namen eines Messingmenschen nannte, von dem sie wußte, daß er schon einmal draußen in der wirklichen Welt gewesen war. »Blyght.«
»Da bist du im falschen Gebäude«, erwiderte der Messingmann. »Die wohnt in B 4.«
»Richte ihr bitte aus, daß ich vielleicht bald ihrer Hilfe bedarf«, sendete Imbri, erkennend, daß sie aus ihrem Patzer auf diese Weise vielleicht doch noch Gewinn ziehen konnte. »Im Augenblick habe ich noch zu tun.«
»Das sehe ich«, bemerkte der Messingmann und musterte Chamäleon. »Du bringst gerade den Müll weg.«
Imbri trabte hastig durch die zweite Wand. Die Ohren brannten ihr plötzlich höchst unpferdisch. »Die Messingleute sind ziemlich unsensibel«, sendete sie. »Sie besitzen weder Seelen noch weiche Stellen.«
»Ich bin so etwas gewöhnt«, meinte Chamäleon. »Die Leute glauben immer, daß ich auch böse sein muß, nur weil ich häßlich bin. Sie behandeln mich entsprechend und sehen sich dann bestätigt, wenn ich darauf nicht voller Freude reagiere.« Dann nahm sie den alten Faden wieder auf. »Ich bestimme dich zum letzten König von Xanth, Imbri. Wenn ich recht haben sollte, und das will ich hoffen, dann bist du die einzige, die unser Problem lösen kann. Das ist auch der wahre Grund, weshalb der Nachthengst dich in die Welt des Tages hinausgeschickt hat. Er wußte etwas, was er nicht verraten durfte, und da hat er getan, was er konnte, um Xanth zu retten, indem er es eben möglich machte. Natürlich hat das viel Leid mit sich gebracht, eingeschlossen die Schmach des Guten Magiers Humfrey, aber es war die einzige Chance, Xanth zu retten. Du bist der Schlüssel zu unserer Rettung, du mußt der zehnte König werden.«
»Aber ich bin doch ein Pferd!«
»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Bist du deswegen aber auch ein weniger wertvolles Lebewesen Xanths?«
Imbri schnaubte. »Ich glaube, ich mochte dich mehr, als du noch schön warst, und zwar nicht nur wegen deines Aussehens.«
»Das geht allen so. Aber in manchen, seltenen Situationen ist die Intelligenz für eine Frau wertvoller als ihre Schönheit.«
»Oh, natürlich! Ich wollte damit auch gar nicht…«
»Ich werde wieder schön werden, Imbri. Ich kann es mir gar nicht leisten, dann noch König zu bleiben, denn ich würde Xanth durch schiere Dummheit in den Abgrund stürzen. Wenn der Reitersmann schon die Intelligenz besitzen sollte, Irene zu verbannen und mich an der Macht zu belassen, dann wird er in meiner anderen Phase seinen Willen mit Sicherheit durchzusetzen wissen. Ich muß die Krise jetzt auslösen, solange ich noch klug genug bin, um mit ihr umgehen zu können. Sobald ich auf Schloß Roogna zurückgekehrt bin, werden die Dinge möglicherweise sehr schnell in Bewegung geraten. Sei du nur bereit, deinen Teil zu leisten, Mähre.«
»Das verstehe ich alles nicht!« Imbri schickte ihr einen kleinen Traum voller Nebulositäten. »Du bist noch gar nicht König geworden, da sprichst du schon von deiner Verbannung in den Kürbis. Wenn du mich zum König bestimmen solltest, wird kein Bürger von Xanth das akzeptieren.«
»Das brauchen sie auch nicht zu akzeptieren«, meinte Chamäleon. »Ich würde mich ja gerne etwas deutlicher erklären, aber ich fürchte, daß dies die Prophezeiung zunichte machen könnte. Du darfst niemandem etwas davon verraten – bis es soweit ist. Nachdem wir die Brücke abgenommen haben, mußt du erst einmal Hilfe holen, damit Irene ihre Pflanzen einsetzen kann. Der Thron von Xanth ist endlich den Frauen zugefallen. Da gehört es sich auch, daß die Frauen ihn mit größerer Effektivität verteidigen, als die Männer es getan haben. Hole die Sirene und die Gorgone vom Schloß des Guten Magiers Humfrey, und finde Goldy Kobold. Wir benötigen ihre Talente für den Endkampf.«
»Aber wie willst du denn dann nach Schloß Roogna zurückkehren?« Imbri hätte sich nie träumen lassen, daß ihr jemals eine solche Aufgabe zuteil werden würde, und dabei hatte sie als Nachtmähre ziemlich viel geträumt. Doch sie mußte die Logik, die hinter Chamäleons Gedankengängen stand, anerkennen. Sie war immun gegen den Zauber des Reitersmanns, so daß sie ihn auf eine Weise aufhalten konnte, wie es keinem anderen Wesen möglich gewesen wäre. Aber da standen noch einige organisatorische Fragen offen. »Ich muß dich wenigstens erst zurückbringen…«
»Wir werden sehen, wie es funktioniert«, meinte Chamäleon vielsagend. Das war auch so ein entnervender Aspekt ihrer Intelligenz; offenbar
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