Nacht-Mähre
Norden geblieben?« fragte Imbri. Sie hatte befürchtet, daß diese Mundanier nach Süden vorgerückt seien.
»Du glaubst doch wohl nicht, daß sechshundert Soldaten durch einen einfachen Marsch durch Xanth bis auf zweihundert dezimiert werden können?« raunzte der Magier, der Imbris Einwurf offenbar falsch verstanden hatte. »Varsoboes hat seine Kräfte geteilt. Der Reitersmann kommandiert das Reservekontingent, obwohl er die Routineaufgaben anscheinend einem Leutnant übertragen hat. Das ist die eigentliche Streitmacht, die wir fürchten müssen, denn sie ist noch vollzählig und unverbraucht, während unsere Verteidigung dezimiert worden ist. Mit Hilfe ihrer Pferde haben sie Boten hin und her geschickt, so daß die zweite Truppe genau darüber informiert ist, wie es um die erste steht und wo es in Xanth Gefahren gibt und welcher Art diese sind. Das sind erfahrene Truppen, zäh und gerissen.«
Humfreys Informationstalent hatte sich offenbart, erkannte Imbri. Der Gute Magier hatte die taktische Lage voll erfaßt. Wieso war er sich dann nur so sicher, daß er die Begegnung mit dem Feind nicht überstehen würde? Warum erklärte er ihr alles so sorgfältig? Sie wußte, daß dies sonst nicht seine Art war. Meistens hielt sich der Gute Magier immer sehr gepflegt zurück, wenn er mit seinem Wissen herausrücken sollte. Es war beinahe so, als ob er daran glaubte, daß sie viele dieser Zauber schließlich aktivieren würde, oder daß sie jemand anderem würde beibringen müssen, es zu tun. Das war wirklich entnervend!
Die Spähaugen zeigten, wie die Nächstweller ihr Nachtlager aufschlugen und sich daranmachten, Nahrung und Wasser zu suchen. Inzwischen hatten sie gelernt, daß Xanth einiges zu bieten hatte und daß es sich nicht auszahlte, das Land wahllos in Schutt und Asche zu legen.
»Die Nymphen sind langsamer als die Spähaugen«, bemerkte Humfrey. »Ich hatte geglaubt, daß sie die Weller noch heute nacht hierherlocken würden, aber nun wird es wohl doch bis morgen mittag dauern. Das war mein Fehler, ich habe meine Prophezeiung falsch gedeutet.« Er furchte die Stirn. »Ich bin nicht mehr ganz so jung wie früher. Ich mache närrische Fehler. Wahrscheinlich werde ich auch deshalb schmachvoll versagen.«
»Aber Majestät!« protestierte Imbri in einem Träumchen. »Ihr habt doch einen ausgezeichneten Verteidigungsplan erarbeitet! Wenn Ihr die Punier hierhergelockt habt und Eure Zauber gegen sie schleudert…«
Humfrey schüttelte den Kopf. »Versuch bloß nicht, einen alten Griesgram wie mich mit Schmeicheleien zu überschütten, Mähre! Du bist schließlich noch ein paar Jährchen älter als ich! Natürlich ist mein Programm gut. Ich habe es vor Jahren einem Buch entnommen, in dem steht, wie man Wellen am besten wegspült. Aber ich bin im Begriff, einen einzigen, kolossalen, unglaublichen, unverzeihlichen und gräßlichen Fehler zu begehen, weil ich etwas ganz Wichtiges übersehe, und diese Katastrophe wird allenfalls noch von der Ironie des Ganzen überragt.«
»Was überseht Ihr denn?« fragte Imbri besorgt.
»Ich werde den einzigen, gewaltigen Riesenfehler in meinem Plan übersehen – den Fehler, der alles andere zunichte macht. Da ist eine bittere Ironie drin, weil ich diesen Fehler in jüngeren Jahren sofort erkannt hätte, damals, als ich noch wachsamer war als heute.«
»Aber wenn Ihr doch wißt, daß die Sache einen Haken hat…«
»Ich bin inzwischen zu abgestumpft und verbraucht, um ihn zu finden«, erwiderte er. »Ich habe mein krankes Gehirn zermartert, doch ich kann ihn nicht entdecken. Die Sache ist so offensichtlich, daß jeder Tölpel sie sofort erkennen könnte – nur ich nicht. Das wird mir zum Verderben. Deshalb habe ich auch meiner Frau, der schönen Gorgone, verboten, mich zu begleiten. Ich schäme mich, vor Menschen derart töricht zu versagen. Und ich gebiete euch Tieren, mich nicht dadurch in Verlegenheit zu bringen, daß ihr hinterher die Wahrheit herausposaunt. Erzählt den anderen einfach, daß ich mein Bestes gegeben habe, und daß es nicht genügt hat.«
»Aber ich kann überhaupt keinen Fehler entdecken!« wandte Imbri ein.
»Weil du von deiner eigenen mährenhaften Torheit geblendet wirst«, sagte er. »Doch wirst du wenigstens Gelegenheit dazu bekommen, dies wiedergutzumachen, wenn auch um den Preis eines gebrochenen Herzens.«
»Was ist das für eine Torheit?« fragte sie, und in ihrem Inneren tobte ein Kampf zwischen Neugier und Niedergeschlagenheit.
»Wenn ich das
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