Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)
Messer hatte eine tiefe Wunde an der Schulter hinterlassen. Sie wusste, dass sie operiert und die gebrochene Nase gerichtet worden war. Nun lag sie benommen im Bett und grübelte. Immer wieder versuchte sie, die letzten Minuten im Keller zu rekonstruieren. Als ob sie dadurch die Ereignisse verändern könnte. Sie konnte sich an das Echo des Schusses erinnern. Das Aufblitzen des Mündungsfeuers. Aber sie konnte Brömme nicht fallen sehen. Vielleicht gaben sie ihr Medikamente? In ihrer linken Hand steckte eine Braunüle, an der ein Infusionsschlauch hing. War deshalb alles so verschwommen? Sie wollte es gar nicht wissen.
Sie hatte ein Einzelzimmer bekommen. Wenn sie nicht döste, starrte Tessa gegen die weißen Wände und verfluchte ihr gestörtes Erinnerungsvermögen. An der Zimmerdecke war ein kleiner schwarzer Fleck. Auf den konzentrierte sie sich, bis sie müde wurde. Sie schloss die Augen.
Sie hatte so viele Fehler gemacht. Sie hatte nicht erkannt, dass Isabell Drost sich unglücklich in Brömme verliebt hatte. Wo war sie nur mit ihrer Aufmerksamkeit gewesen? Sie hätte es sehen müssen. Tessa riss die Augen wieder auf. Starrte auf die weiße Wand.
Brömme hatte Isabell verhöhnt. Ihr gesagt, dass sie nie von den Drogen loskommen würde. Und die verzweifelte Isabell hatte ihm geglaubt und keinen Ausweg mehr gesehen. Keinen Wert mehr in ihrem Leben. Dafür die Freiheit des Suizids. Um Ruhe zu finden. Trügerische Ruhe. Wenn Isabell Drost die Zurückweisung doch nur als Anfang einer Wende hätte begreifen können. Vielleicht … Es war sinnlos. Tessas Gedanken wanderten weiter.
Brömme hatte nichts empfunden, schon gar nicht für Isabell Drost. Auf Gabriele Henke und sie selbst hatte er seine gestörte Mutterliebe projiziert. So wie Paul es geahnt hatte. Er war zum Mörder geworden, weil er keine Empfindungen für seine Mitmenschen aufbringen konnte. Als Gabriele Henke ihn auslachte und kränkte, war sie in seinen Augen selbst schuld daran, dass er sie bestrafte. Tessa war sich inzwischen sicher, dass es so gewesen sein musste. Hatte Paul nicht versucht, mit ihr über genau dieses Empathiedefizit zu sprechen? Sie hatte Brömme noch in Schutz genommen und nicht richtig zugehört. Wenn sie Paul doch nur ernst genommen hätte …
Es war dunkel geworden. Die Schwestern hatten schon vor längerer Zeit das Licht gelöscht.
*
Tessa wachte erfrischt auf. Sie hatte gut geschlafen. Keine Albträume. Danach fragten die Kollegen immer wieder. Tessa glaubte, dass sie nur gut schlief, weil die Schläuche endlich gezogen waren und sie sich etwas bewegen konnte. Das schmerzte zwar, war aber auszuhalten. Und sie bekam jeden Abend eine Schlaftablette. Wer würde da nicht gut schlafen. Die Träume würden schon noch kommen.
Die Wunde juckte. Und gestern hatte sie einen Blick in den Spiegel riskiert. Ihr Gesicht hatte eine hübsche grünlich-gelbe Färbung. Die Nase war stark geschwollen. Herzallerliebst. Heute würde sie sich den Anblick ersparen.
Es klopfte. Tessa richtete sich auf und knüllte sich das Kopfkissen in den Rücken. Torben. Endlich kam er. Ihre Enttäuschung und die Sehnsucht nach ihm zerfraßen sie. Warum kam er erst jetzt? Die Schwestern hatten ihr erzählt, dass er zwar mehrmals angerufen und sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte. Aber besucht hatte er sie nicht.
»Hallo. Komm rein.« Die Erleichterung musste ihr anzuhören sein.
Und ihm war der Schock anzusehen. Verlegen stand er in der Tür und hielt einen kleinen Strauß korallenroter Ranunkeln in der Hand.
»Starr mich nicht so unhöflich an. Ich weiß, wie ich aussehe. Wird schon wieder. Dort auf dem Tisch steht noch eine Vase.« Tessa fühlte sich plötzlich unsicher. »Sie sind wunderschön«, flüsterte sie und zog ihre Wolljacke enger um sich. Er hatte noch kein Wort gesagt.
»Es tut mir leid, was passiert ist«, murmelt er leise.
Er zog sich einen Stuhl ans Bett und begann mit gesenktem Kopf flehentlich auf sie einzureden. Für Tessa klang es, als wolle er beichten.
»Es ist alles meine Schuld. Ich habe es vermasselt. Ich habe wichtige Dinge übersehen, die falschen Schlüsse gezogen und meine Waffe aus der Hand gegeben. Ich bin schuld, dass du verletzt worden bist und Brömme tot ist. Verzeih mir.«
Wehmütig sah sie, wie er seine Hände rang. Er hatte also auch Schuldgefühle. Schon wieder Schuld.
»Du bist nicht schuld. Hör auf. Ich war überzeugt davon, dass Neumann verantwortlich ist. Ich habe dich beeinflusst.« Tessa lachte
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