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Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)

Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angélique Mundt
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schwitzte und war sichtbar angespannt. Die Stimme war höher geworden. »Hast du es deiner Mutter erzählt?«
    »Sie hat mir verboten, mit jemandem darüber zu sprechen. Niemand darf es erfahren, am wenigsten mein Vater oder mein Bruder. Ich bin beschmutzt.«
    Tessa schwieg. Das Mädchen hatte also keine Hilfe bekommen. Im Gegenteil, es kamen noch Schuldgefühle hinzu. Wieso hatte sich die Mutter diesem Regime unterworfen?
    »Keiner hat dir geholfen?«
    »Jeder sieht mich böse an. Selbst hier lassen sie mich nicht in Ruhe. Jeder weiß es doch, oder? Alle wissen es! Damit kann ich nicht mehr leben – sowenig wie Isabell.«
    »Warte, warte. Das verstehe ich nicht. Wer lässt dich nicht in Ruhe?«
    Keine Antwort.
    »Wie meinst du das mit Isabell? Denkst du daran, dir das Leben zu nehmen?« Tessa war klar, dass sie auf dünnem Eis stand. Sie durfte Kiana nicht so mit Fragen bedrängen. Andererseits musste sie wissen, was in ihr vorging.
    »Ich kann nicht. Meine Schwester, sie war stark. Ich habe nur Schuld und Schande über meine Familie gebracht. Mein Bruder darf nichts erfahren, sonst lebt auch er in Schande.« Ihr Kopf ruckte hoch. »Sie werden ihm nichts sagen, oder?« Ihre Stimme bebte und die Hände flatterten ziellos auseinander.
    »Nein, natürlich nicht«, sagte Tessa ernst. »Wie hast du es geschafft, zu überleben?«
    »Wir trauten uns nicht mehr auf die Straße. Meine Schwester rief uns regelmäßig aus der Stadt an. Sie und ihr Mann verließen nur selten die Wohnung. Sie war am Telefon, als die Männer kamen. Die Verbindung brach ab. Später erzählten sie uns, sie sei vom Balkon gestürzt. Dort habe sie sich ohnehin nicht aufhalten dürfen. Meine Eltern wurden kurz danach verhaftet. Wir haben sie nie wieder gesehen. Irgendwann bekamen wir einen Brief, dass sie gestorben seien.«
    Sie berichtete mit monotoner Stimme, als ob es nicht ihr passiert war und sie nur aus einem Buch vorlesen würde. Eine Art Selbstschutz?
    »Ein Onkel hat mich und meinen Bruder aufgenommen und in seinem Haus versteckt. Später hat uns ein Freund meines Vaters zur Flucht nach Deutschland verholfen. Auch hier haben wir uns lange vesteckt. Jetzt leben wir im Asylheim. Das ist alles, was Sie wissen müssen.« Erstmals blickte sie Tessa in die Augen. »Was soll ich tun, wenn man mich zurückschickt?«
    Tessa hatte keine Antwort. Stattdessen stellte sie eine Gegenfrage.
    »Kiana, wie lange bist du schon auf der Flucht?«
    Die Patientin zuckte nur stumm die Schultern und senkte wieder ihren Blick. Tessa ärgerte sich über ihre erbärmliche Frage. Dieses junge Mädchen brauchte Schutz und Antworten. Und Tessa war in ihrer eigenen Hilflosigkeit feige ausgewichen.
    *
    Koster rutschte nervös im Sessel herum. Wieder saßen sie im Büro von Tessa Ravens. Insgeheim hatte er auf ein Signal von ihr gehofft, auf irgendein Zeichen, vielleicht ein Lächeln? Aber sie hatte ihn und Liebetrau distanziert begrüßt. Dann eben nicht.
    Liebchen hingegen schien nichts zu bemerken. Er sah aus, als wolle er aus seinem Sessel so bald nicht wieder aufstehen. Einen Moment lang herrschte Stille.
    »Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns haben. Sie könnten uns mit Hintergrundinformationen helfen, damit wir besser mit Ihren Patienten ins Gespräch kommen«, sagte Koster ungewohnt steif.
    »Natürlich. Ich habe ohnehin Anweisungen von meinem Oberarzt.« Sie stockte. »Ich möchte auch wissen, was passiert ist.« Koster spürte, dass sie etwas zurückhielt. Er hätte gerne alles gehört, aber es fiel ihm schwer, einen Anfang zu finden.
    »Frau Henke wartet schon«, sagte sie.
    Chance verpasst. »Warum ist sie hier Patientin? Was hat sie eigentlich?«
    »Depressionen.«
    Koster fragte sich, warum sie so distanziert war. »Wie äußert sich das, ich meine, warum hat sie welche?«
    »Das sind zwei Fragen, richtig?« Der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Mundwinkel. Wenigstens hatte er sie mit seinen ungeschickten Fragen zum Schmunzeln gebracht.
    »Menschen mit Depressionen haben Stimmungsprobleme«, fuhr sie fort. »Meist sind sie niedergeschlagener Stimmung, manchmal auch gereizter Stimmung. Sie interessieren sich für nichts mehr. Ihnen fehlt der Antrieb, sich zu ganz alltäglichen Dingen aufzuraffen.«
    »Das kenne ich«, sinnierte Liebchen und steckte sich eines von seinen Magenkügelchen in den Mund. Ich auch, dachte Koster und meinte damit seine Frau. Hatte Jasmin Depressionen? Wenn er sie fragte, antwortete sie nur, es ginge ihr gut. Er konzentrierte sich

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