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Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)

Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nacht ohne Angst: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angélique Mundt
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Rechtsmedizinische Institut bringen. Tessas Blick schweifte über den Schreibtisch und blieb am Anrufbeantworter hängen. Ob sie alleine käme? Am Telefon hatte sie nichts von einer Begleitung erwähnt. Was konnte Tessa ihr Tröstliches sagen? Sie versuchte, Brömmes Besuch von gestern Abend zu verdrängen und sich auf die bevorstehende Begegnung zu konzentrieren. Gab es Linderung, wenn die eigene Mutter ermordet worden war? Soweit Tessa wusste, hatte die Tochter ihre Mutter gedrängt, in die Klinik zu gehen. Und wenn sie sich deshalb die Schuld gab? Oder dem Krankenhaus? Wieder diese verflixte Schuld. Tessa drehte sich mit ihrem Bürostuhl zum Fenster. Zu ihren Muscheln, die auf der Fensterbank verstreut lagen. Erinnerungsstücke an ihre endlosen Spaziergänge an der Ostsee. Jedes Stück verknüpft mit einem besonderen Menschen. Sie nahm eine der großen Muscheln, um sie sich ans Ohr zu halten. Sie hörte das Rauschen des Meeres. Die hatte sie gefunden, kurz nachdem sie ihre Arbeit im Kriseninterventionsteam des Deutschen Roten Kreuz angetreten hatte. An der Muschel zu lauschen sollte sie nach den traurigen Einsätzen an den Strand zurückführen. Es war die Muschel für die Familie, die sie bei einem ihrer ersten Einsätze kennengelernt hatte. Das Kriseninterventionsteam leistete Erste Hilfe für die Seele. Für die Überlebenden von traumatisierenden Ereignissen, für die Opfer von Gewaltverbrechen. Für die Angehörigen, die ihre Lieben durch den unerwarteten Tod verloren hatten. Es waren stets die schwärzesten Stunden eines Lebens, wenn Tessa gerufen wurde. Sie versuchte dann zu helfen, die schrecklichen Ereignisse zu verarbeiten.
    Ihre größte Angst war die vor dem plötzlichen Kindstod. Gott sei Dank war es ihr bislang erspart geblieben, einer Mutter das Herz zu brechen, indem sie ihr den Säugling aus dem Arm nehmen musste, um ihn in einen kalten Zinksarg zu legen.
    In der Psychiatrie sah sie die traumatisierten Opfer erst Monate oder Jahre später. Sie hatten keinen Beistand in der Not bekommen. So wenig wie David Brömme nach dem gewaltsamen Tod seiner Mutter. Einen besonders schönen Donnerkeil hatte sie an dem Wochenende im Sand gefunden, als man ihn ins Krankenhaus eingeliefert hatte.
    Die Ärzte versuchten damals seine Mutter ins Leben zurückzuholen. Die Polizei war damit beschäftigt, den Täter vorläufig festzunehmen. Um den geschockten, blutverschmierten David Brömme, der seine Mutter in den Armen gehalten hatte und nun lethargisch auf dem Sofa saß, kümmerte sich niemand. Verwandte gab es nicht. Die wenigen Bekannten, die er aus der Uni hatte, waren mit der Situation überfordert, die Nachbarn fühlten sich nicht zuständig. So blieb er allein zurück. Tessa seufzte.
    Ihre Gedanken wanderten zurück zu ihrem Einsatz am Weihnachtsmorgen vor einigen Jahren. Die Polizei hatte sie frühmorgens aus dem Bett geklingelt. Ein Todesfall im Containerhafen. Ein Arbeiter war in seinem Gabelstapler einem Herzinfarkt erlegen. Er war noch keine vierzig Jahre alt gewesen. Die Werkssanitäter waren sofort vor Ort. Die Rettungskräfte der Feuerwehr Minuten später. Und dennoch hatten die Ärzte ihn nicht reanimieren können. Er hinterließ eine Frau und vier Kinder. Die Polizei bat um Begleitung bei der Überbringung der Todesnachricht. So hart konnten die Kerle gar nicht sein, dass sie den schweren Gang zur Familie alleine antraten. Kurze Zeit später stand sie mit zwei Polizeibeamten in einem fremden Treppenhaus und wartete darauf, dass eine Mutter die Tür öffnen würde, um ihr dann mit wenigen Sätzen ihre heile Welt zu zerstören. Es öffnete ein etwa zehnjähriger Junge. Er sah die Polizei und knallte die Tür gleich wieder zu. Es war kein Wort gesprochen worden. Sie blickten sich ratlos an. Dann ging die Tür erneut auf, und ein Jugendlicher mit erstem Flaum am Kinn schaute sie fragend an. Hielt ihren Blicken stand. Die Mutter sei nur kurz zum Einkaufen, da noch etwas für die Feiertage fehlte. Sie würde gleich wieder da sein. Drinnen würgten die Polizisten an den Worten. Schnell, ohne Umschweife, mussten sie auf den Punkt kommen. Sonst kam Hoffnung auf. Und Hoffnung gab es nicht mehr. Der Vater war tot. Herzinfarkt. Es war keine Rettung mehr möglich gewesen. Der Kleine brach in Tränen aus, sein großer Bruder nahm seine Hand. Die beiden Jungs hatten verstanden. Die Schwester schlief noch unschuldig im Nebenzimmer, das jüngste Kind hatte die Mutter mitgenommen. Als die Haustür aufging, stürzten

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