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Nacht ohne Ende

Nacht ohne Ende

Titel: Nacht ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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sammelten.
    Der Fernsehsender, bei dem Tiel arbeitete, hatte einen Nachrichtendirektor, aber der Mann mit diesem Titel führte die Geschäfte von einem mit Teppichen ausgelegten Büro aus und war eher ein Erbsenzähler und Administrator als ein Boss, der die Zügel gern fest in der Hand hielt.
    Der Mann im Schützengraben, derjenige, der sich direkt mit den Reportern, Schreibern, Pressefotografen und Redakteuren befasste, derjenige, der Termine und Arbeitspläne koordinierte und sich rührselige Geschichten anhörte und Dreck fraß, wenn Dreckfressen angesagt war, derjenige, der den Nachrichtenbetrieb wirklich leitete, war der Chefredakteur, Gully.
    Er war bereits beim Sender gewesen, als dieser zu Beginn der fünfziger Jahre sein Programm begonnen hatte, und er hatte verkündet, dass sie ihn schon mit den Füßen voran aus der Redaktion würden wegtragen müssen. Eher wollte er sterben, als in Rente zu gehen. Er arbeitete sechzehn Stunden am Tag und ärgerte sich über die Zeit, die er nicht arbeitete. Er verfügte über einen farbigen, äußerst anschaulichen Wortschatz und zahllose Gleichnisse, ein umfangreiches Repertoire an abenteuerlichen Geschichten über längst vergangene Zeiten in der Rundfunk-und Fernsehbranche und hatte anscheinend kein Leben außerhalb des Nachrichtenstudios. Sein Vorname war Yarborough, aber das wussten nur einige wenige Sterbliche. Alle anderen kannten ihn nur als Gully.
    »Wirst du mir nun diesen mysteriösen Auftrag geben oder nicht?«
    Er ließ sich nicht drängen. »Was ist mit deinen Urlaubsplänen passiert?«
    »Nichts. Ich bin immer noch im Urlaub.«
    »Wer's glaubt, wird selig.«
    »Aber wenn ich's dir doch sage! Ich habe nicht vor, meine freie Woche zu streichen. Ich verschiebe nur den Beginn, das ist alles.«
    »Was wird dein neuer Freund dazu sagen?«
    »Ich habe es dir doch schon tausendmal erklärt, es gibt keinen neuen Freund.« Er lachte sein stoisches Kettenraucherlachen, um anzudeuten, dass sie beide wussten, dass sie log, und dass sie ihm nichts vorzumachen brauchte.
    »Hast du deinen Notizblock parat?«, fragte Gully plötzlich.
    »Äh, ja.«
    Welche Bazillen sich auch immer auf dem schmierigen Telefonhörer angesiedelt hatten, sie waren inzwischen wahrscheinlich alle zu ihr rübergehopst. Tiel fand sich damit ab und klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Wange, während sie Notizblock und Stift aus ihrer Tasche holte und sie auf das schmale Metallsims unter dem Wandtelefon legte.
    »Schieß los.«
    »Der Name des Jungen ist Ronald Davison«, begann Gully.
    »Das habe ich schon im Radio gehört.«
    »Wird allgemein Ronnie genannt. Besucht die letzte Klasse der High School, genau wie die Dendy. Wird seinen Schulabschluss zwar nicht mit Auszeichnung machen, aber er ist ein Schüler mit einem guten Zensurendurchschnitt. Hat bis heute nie Ärger gemacht. Nach der ersten Unterrichtsstunde heute Morgen ist er mit Sabra Dendy in seinem Toyota Pickup vom Schülerparkplatz gebraust, als ob ihn jemand mit vorgehaltener Schrotflinte zum Heiraten hätte zwingen wollen.«
    »Russ Dendys Kind.«
    »Sein Einziges.«
    »Ist das FBI eingeschaltet worden?«
    »FBI. Texas Rangers. Und praktisch sämtliche anderen Behörden. Wer immer eine Dienstmarke trägt, arbeitet an dieser Sache. Ein Mordsaufstand, das Ganze. Alle behaupten, für den Fall zuständig zu sein, und alle wollen bei der Aktion dabei sein.«
    Tiel brauchte einen Moment, um das volle Ausmaß dieser Story in sich aufzunehmen. Der kurze Korridor, in dem sich der Münzfernsprecher befand, führte zu den öffentlichen Toiletten. Auf der einen Tür war ein Cowgirl in einem Fransenrock mit blauer Farbe mittels Schablone aufgemalt. Die andere war, wie nicht anders zu erwarten, mit dem männlichen Gegenstück dekoriert, einem Cowboy in weit ausgestellten Reithosen und breitkrempigem Hut, der ein Lasso über dem Kopf wirbelte.
    Als Tiel den Gang zu dem Verkaufsraum hinunterblickte, sah sie die leibhaftige Verkörperung des Türschablonencowboys den Laden betreten. Groß, schlank, den Stetson tief in die Stirn gezogen. Er nickte der Kassiererin zu, deren krauses, stark dauergewelltes Haar in einer wenig schmeichelhaften Schattierung von Ockergelb gefärbt war.
    In Tiels Nähe stand ein älteres Ehepaar, das sich nach Souvenirs umsah und es anscheinend nicht eilig hatte, zu seinem Winnebago zurückzukehren. Zumindest nahm Tiel an, dass das Wohnmobil draußen vor den Benzinzapfsäulen den beiden gehörte. Die alte Dame war

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