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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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man aus der Tasche schießen will, Marco, taugt eine Pistole nicht viel. Das hättest du eigentlich wissen müssen. Schon beim ersten Schuß bleibt der Schieber meistens hängen.«
      Er sagte nichts, sondern stand nur da und starrte mich wie einen Fremden an. Ich schob mir die Walther in die Tasche. »Heute abend, Marco. Dann werde ich ihn besuchen, nicht jetzt.«
      Er zögerte. Da trat Sean Burke fünf oder sechs Meter hinter ihm aus der Deckung eines Marmordenkmals hervor, einen Browning in der Hand.
      »An Ihrer Stelle würde ich tun, was er sagt«, warnte er Marco in seinem eigentümlichen Italienisch.
      Marco verzog sich ohne ein weiteres Wort. Burke wandte sich mir zu und sah mich ernst an. »Ein alter Freund?«
      »So etwas Ähnliches. Wo kommst du denn plötzlich her?«
      »Rosa hat rasch einen anderen Wagen besorgt, und ich bin dem Mercedes in die Stadt gefolgt – war nicht schwierig. Interessant wurde es erst, als wir entdeckten, daß dir noch jemand folgt. Wer war das?«
      »Ein Freund meines Großvaters. Er will mich sprechen.«
      »Wenn er das so schnell erfahren hat, muß er einen verdammt guten Informationsdienst haben.«
      »Den besten.«
      Er trat ans Gitter und las die Inschrift. »Deine Mutter?«
      Ich nickte.
    »Du hast mir nie etwas davon gesagt.«
      Da stellte ich seltsamerweise fest, daß ich darüber sprechen wollte. Es war, als stünden wir wieder genauso zueinander wie früher, aber vielleicht befand ich mich auch in der Stimmung, in der ich es jedem erzählt hätte.
      »Ich habe doch gesagt, daß meine Mutter Sizilianerin war und daß mein Großvater noch hier lebt. Aber ich habe wohl immer auf Einzelheiten verzichtet.«
      »Ich erinnere mich nicht mehr. Ich glaube, du hast seinen Namen einmal erwähnt, aber ich muß ihn wohl vergessen haben, bis ich ihn hier in der Inschrift wiedergesehen habe.«
      Ich setzte mich auf die Umrandung eines Grabes und zündete mir eine Zigarette an. Dabei fragte ich mich, wieviel ich ihm wohl erzählen sollte – wieviel er überhaupt begreifen würde. Für den Besucher, den Touristen besteht Sizilien aus Taormina, Catania, Syrakus – aus goldenen Stränden und lachenden Bauern. Aber im Hinterland gibt es noch ein anderes, ein dunkleres Sizilien, ein wildes Land, unfruchtbar und trocken, wo man nicht so sehr um den Lebensunterhalt als um das Überleben kämpft. Eine Welt, in der sich alles um ›Omerta‹ dreht, einen Ausdruck, den man am besten mit Mannhaftigkeit übersetzt. Männlichkeit, Ehre, die Probleme selbst lösen, nie staatliche Hilfe in Anspruch nehmen – das alles führte zum Begriff der persönlichen Vendetta, und es war die richtige Brutstätte für die Mafia.
      »Was weißt du über die Mafia, Sean?«
      »Hat sie nicht früher einmal als eine Art Geheimbund begonnen?«
      »Richtig, sie ist in einer Zeit echter Unterdrückung entstan den. Damals war sie die einzige Waffe der Bauern, der einzige Weg zu einer Art von Gerechtigkeit. Aber wie alle derartigen Bewegungen ist sie dann immer korrupter geworden. Zuletzt hatte die Mafia nicht nur die Bauern, sondern ganz Sizilien an der Gurgel.«
      Ich ließ meine Zigarre fallen und trat sie in den Kies. »Die Mafia beherrscht heute noch Sizilien, trotz allem, was die Behörden in Rom dagegen unternommen haben.«
      »Aber was hat das alles mit dir zu tun?«
      »Mein Großvater Vito Barbaccia ist der ›Capo Mafia‹ für Palermo und ganz Sizilien. Die Nummer eins. Der Herr über Leben und Tod. In den Vereinigten Staaten leben jetzt etwa drei Millionen Sizilianer, und die Mafia hat sich auch drüben verbreitet. Sie wurde zu einem Hauptzweig des organisierten Gangstertums. In den letzten Jahren sind eine ganze Reihe Mafia-Bosse aus den Staaten deportiert worden. Sie sind mit neuen Ideen nach Hause gekommen – Prostitution, Rauschgift und so weiter. Einem alten ›Mafioso‹ wie meinem Großvater macht es nichts aus, jemanden zu töten, aber solche Dinge mag er einfach nicht.«
      »Es hat Ärger gegeben?«
      »So könnte man es nennen. Sie haben eine Bombe in seinem Wagen versteckt – in diesen Kreisen eine beliebte Methode, sich eines Rivalen zu entledigen. Leider war es meine Mutter, die als nächste den Wagen fuhr.«
      »Mein Gott!« Auf seinem Gesicht standen Schrecken und echter Schmerz zu lesen.
      Ich fuhr fort: »Ob du es glaubst oder nicht: Ich wußte absolut nichts darüber, oder vielleicht wollte ich es nicht wissen.

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