Nacht ohne Erbarmen
»Stacey, du weißt nicht, was du redest. Du mußt bei mir bleiben.«
»Bei dir bleiben?« Ich lachte schallend. »Und wenn sie dich aufhängen, ich würde dich nicht abschneiden. Ich muß dir nämlich etwas verraten: Heute abend habe ich eine interessante Entdeckung gemacht. Ich bin dahintergekommen, wer meine
Mutter ermordet hat. Du warst es!«
Es war das Grausamste, was ich ihm hätte sagen können, aber wahr. Er welkte und wurde vor meinen Augen zu einem alten Mann. Ich wandte mich ab und schob mich zwischen seinen Gorillas hindurch. Plötzlich war ich sehr, sehr müde.
Ich kam bis an die Tür, dann stolperte ich ein wenig. Ein Arm stützte mich. Rosa war da und sah mich voller Stolz an. Sie weinte nicht mehr.
»Ich möchte dir helfen, Stacey.«
»Kannst du kochen?«
»Eine Pasta wie meine hast du noch nie gegessen.«
»Dann bist du für mich genau das richtige Mädchen. Nur eine Bedingung: Bei der erstbesten Gelegenheit bringen wir alles vor dem Gesetz in Ordnung. Das unregelmäßige Leben hängt mir zum Halse heraus.«
Sie begann wieder zu weinen, als wir die Treppe hinunter gingen. Ich streichelte ihre Schulter.
»Ich denke, daß meine Sachen noch in meinem Zimmer sind. Pack mir einen Koffer, auch alles, was du brauchst, und vergiß deinen Paß nicht. Wir treffen uns dann unten. Und meine Brieftasche möchte ich wiederhaben.«
Sie gab sie mir und ging dann in ihr Zimmer. Ich schaffte es aus eigener Kraft bis hinunter in die Halle. Es regnete stärker als zuvor, als ich in den Garten hinaustrat und die Terrasse vor der Villa entlangging –
Er wirkte ganz friedlich, wie er da im Regen lag. Allem Anschein nach war sein Rückgrat gebrochen. Einen Schädel bruch schien er ebenfalls erlitten zu haben.
Wie ich so dastand, mußte ich an vielerlei denken, haupt sächlich jedoch an unser erstes Zusammentreffen im ›Licht von Lissabon‹. Wenn man nur flüchtige Augenblicke festhalten könnte! Wenn sich nur die Menschen nicht so verstellten! Aber das war unmöglich. Das Leben war nun einmal anders.
Nun war ich müde und wünschte mir nichts weiter als ein
warmes Eckchen, wo ich Schutz vor der Finsternis fand. Wenn ich Glück hatte – mehr Glück als die meisten Menschen jemals kennenlernen –, dann würde mir Rosa dieses warme Eckchen bieten. Rosa – und das Stückchen Papier, das im Futter meiner Brieftasche steckte. Es war immerhin fünfzigtausend Dollar wert.
Ich mußte ein wenig lächeln, als ich mich daran erinnerte, wie feierlich er den großen Umschlag mit dem leeren Formular darin versiegelt hatte, das ich damals in der Bank anstelle der echten Quittung hineingesteckt hatte.
Armer Sean – armer Sean Burke.
Ich zog meinen Revolver heraus und legte ihn auf seine Brust. Dann ließ ich ihn im Regen liegen. Es war vielleicht ein schlechter Tausch – aber nur für ihn, für mich nicht.
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